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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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waren, wären sie sehr viel raffinierter und daher weitaus befriedigender. Es wäre gewissermaßen ein so wichtiger Fortschritt gegenüber der jetzigen Jagd wie die Ablösung von Pfeil und Bogen durch das Gewehr.
    Er blickte auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Er dachte an Nancy. Sie war die Beste, die sie jemals gehabt hatten. Mit Abstand. Wenn er wirklich ernsthaft über sie nachdachte. Und man musste sie einfach gern haben. Als er heute Morgen in dem eisigen See schwamm, hatte er einen flüchtigen, verrückten Gedanken gehabt. Nancy nehmen und mit ihr abhauen. Greg und Art die Sache zu Ende bringen lassen, Helen sitzen lassen, vielleicht nach Südamerika gehen und ein ganz neues Leben anfangen. Eine Frau wie Nancy könnte man dazu bringen, alles zu tun. Fürs Erste, sie wäre nicht wie Helen, sie hätte nichts gegen Gruppensex. Nancy wünschte sich so verzweifelt, geliebt und akzeptiert zu werden. Sie hatte einen guten Körper, ihr Gesicht war nicht schlecht, und ihre gequälte neurotische Art verlieh ihr Stil. Ein paar Kleider und sie könnte es mit den Besten aufnehmen. Und, Scheiße noch mal, musste ein Mann sein ganzes Leben mit einer einzigen Frau verbringen? Helen hatte das Beste von ihm bekommen. Und machte den fatalen Fehler, den alle Frauen machten, indem sie ihren Mann für allzu selbstverständlich hielten. Schon da für verdiente sie es, verlassen zu werden.
    Er stand auf, unschlüssig, und trug seine Kaffeetasse in die Hütte. „Noch ungefähr drei Minuten“, verkündete er.
    Er stellte die Tasse in die Spüle, dabei stieß sein Fuß gegen die Kette. Sie rasselte über den Boden. Es sah auf sie hinunter. Waren sieben Jahre so schnell vergangen? Dann wusste er, dass das mit Nancy Blödsinn war. Sie wusste zu viel. Sie hätte immer eine Waffe gegen ihn in der Hand. Wie unsicher sie auch jetzt war, würde sie nicht schließlich doch auch das tun, was er gerade von Helen und den anderen Frauen gedacht hatte? Hatte er sich das nicht eben selbst gesagt? Nach einer Weile würde ihn Nancy, wie die anderen, als selbstverständliche Einrichtung betrachten. Und wenn der Tag kam, würde sie gefährlich werden. Sie musste weg.
    Er nahm sein Gewehr und schlüpfte in seine Jagdjacke, plötzlich fühlte er sich wohl. Es machte Spaß, über jemanden wie Nancy zu entscheiden. Du hast das letzte Wort über sie. Nicht Gott oder das Schicksal oder sie selbst oder sonst irgendwas. Sondern du.
    Ken ging wieder hinaus und unterbrach Arts und Gregs Diskussion.
    „Also“, sagte er mit Blick auf seine Uhr, „tun wir’s.“

16
    Nancy sah das Boot früher als Martin. Es schaukelte still zwanzig Yards vom Ufer entfernt, halb getarnt durch den dichten Busch im Wasser, an dem es festgemacht war. Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob sie ihn darauf hinweisen sollte oder nicht. Sie waren aus dem dichten, sumpfigen Wald auf der Festlandseite der Insel gekommen, Nancy trottete hinter Martin her und spürte den Schmerz von den zwei harten Hieben, die er ihr versetzt hatte. Das erste Mal hatte er sie geschlagen, als sie ihn am Landeplatz unterhalb der Hütte eingeholt hatte. Er hatte eines der Schlauchboote nehmen wollen, aber natürlich waren beide Boote nicht mehr dort. Das zweite Mal war, als sie über den dunklen, moosbedeckten Fußboden der alten Mühle gingen und im Dach, hoch oben, Eichelhäher und Kohlmeisen zwitscherten und stritten.
    Erschreckend war, wie kalt und ruhig Martin beide Male gewesen war. Keinerlei Gefühl war in seinem Gesicht zu erken nen gewesen. Oder in seiner Stimme. Er hatte ganz vernünftig gesprochen, so als wären sie praktisch Fremde, die sich gerade getroffen hatten und sich über jemand anderen unterhielten.
    „Ich kann dich nicht gebrauchen“, hatte er gesagt. „Verstehst du? Ich will leben und du hältst mich nur auf. Du wirst nur dafür sorgen, dass ich umgebracht werde.“ Und dann hatte er die Faust geballt und sie geschlagen.
    Die Schläge hatten sie ins Gesicht getroffen. Sie spürte schon die pochende Schwellung an ihrem Auge, das sich zu schließen begann. Der zweite Schlag hatte sie am Ohr getroffen, das jetzt, wie auch ihr Nacken, von trocknendem Blut bedeckt war, Blut, das auch aus den Platzwunden an ihrem Schädel kam. Aber weder die Schmerzen von Martins Schlägen noch von dem Dickicht und den Dornensträuchern, die Kens Wollhemd, das sie trug, in Fetzen gerissen hatten, waren vergleichbar mit dem Schmerz ihres Entsetzens. Buchstäblich physisch spürbar, drang dieser von ihrem

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