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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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vorwärts, versank wie Blei im Schlamm. Der andere folgte. Ein Fuß, dann der andere, links, rechts, links, rechts. Der Geschmack von Kotze und Blut in ihrem Mund. Zerbrochene Zähne. Stechender Schmerz überall.
    Ihre Hände tasteten sich vorwärts. Was war da so rau direkt vor ihrem Gesicht? Warum war da der ätzend dunkelbraune Geruch von altem Holz? Und Splitter, die ihre Handflächen zerrissen? Langsam wurden ihre Gedanken klarer. Sie hatte sich an die Außenwand der Sägemühle gelehnt, die Arme ausgebreitet, um nicht zu fallen. Jetzt erinnerte sie sich wieder an alles. Ken, Greg und Art auf dem Festland, auf der Jagd nach Martin; sie selbst allein auf der Insel. Sie hatte vorhin den Einfall gehabt, sich ein Gewehr zu verschaffen, bevor die drei zurückkamen. Wie lange war das her gewesen? Hatte sie noch Zeit? Sie horchte. Ein paar Eichelhäher zankten. Sonst kein Laut. Sie bewegte sich von der Mühle weg, vorsichtig, damit es möglichst wenig schmerzte. Ihr Kopf war wieder völlig klar, und sie begab sich, einen Fuß vor den anderen setzend, durch das dichte Unterholz zu der Lichtung bei der Hütte. Die Tür stand offen; eine längliche Rauchfahne stieg aus dem Kamin.
    Sie wusste, dass niemand drinnen war. Sie fing an zu laufen. Sie fiel hin, stand auf, stolperte wieder. Sie erreichte die Hütte, schleppte sich die Steinstufen hinauf und dann hinein und in die Küche. Sie griff eine Flasche Bourbon, die geöffnet war, und nahm einen ausgiebigen Schluck. Es schnürte ihr den Hals zu und sie würgte wieder. In ihrem Magen war nichts mehr, was hochkommen konnte, und nachdem sie eine Weile über dem Tischrand gelehnt hatte, holte sie ein Glas, füllte es am Wasserhahn und trank und behielt es bei sich.
    Sie ging zurück ins Wohnzimmer und zum Gewehrschrank. Er war abgeschlossen. Aber es gab doch irgendwo eine Axt, oder? Hatte Greg nicht Holz gehackt? Sie fand die Axt draußen, brachte sie herein und schlug auf den Schrank ein. Als die Riegel nachgaben und sie die Türen öffnen konnte, nahm sie eine Schrotflinte heraus. Diese Sorte kannte sie, Eddie hatte eine. Da war auch eine grüne Schachtel. War das die Munition? Sie wusste sehr wenig über Gewehre. Sie riss die Schachtel auf, und kurze, gedrungene grüne Zylinder mit flachen Messingenden rollten heraus. Die gleichen, die Eddie für die Entenjagd benutzte. Sie hatte für ihn geladen, also konnte sie diese Flinte laden, und Eddie hatte sie auch mal schießen lassen. Das konnte sie also auch. Sie schob eine Patrone ins Magazin, dann noch eine und noch eine. Es fasste fünf. Sie stopfte sich noch ein Dutzend Patronen in ihr Hemd und ging zurück in die Küche, um noch etwas zu trinken. Angenommen, sie blieb gleich hinter der Eingangstür sitzen. Einen von ihnen würde sie erwischen, wenn sie zurückkamen. Aber wahrscheinlich nur einen. Und wenn sie einschlief?
    Sie brauchte Wasser. Sie fand eine Feldflasche, füllte sie und nahm eine Schachtel Zwieback und eine Packung getrocknete Datteln an sich. Draußen blieb sie unentschlossen stehen, horchte auf die weit entfernten Schreie von Krähen und Eichelhähern. Und auf die schwer pochenden Schläge ihres eigenen Herzens.
    Die Sonne schien warm, und Gebüsch und Wald rochen nach Herbst.
    Wohin sollte sie gehen? Wo war sie sicher? Allzu weit durfte es nicht sein. Der Schmerz lauerte hinter ihren Augen, durchströmte ihren Körper in tiefen, plötzlichen Wellen. Sie musste sich hinlegen; sie wusste, dass sie ein paar gebrochene Rippen hatte.
    Sie schaffte es die Treppe hinunter, ohne zu fallen, verlor die Feldflasche, hob sie wieder auf, ging langsam über die Lichtung auf das Gebüsch zu.
    Irgendwo in der Mühle? Gab es da nicht alte Holzstöße? Vielleicht sich dazwischen verstecken? Oder hinter der verrosteten Maschinerie?
    Dann kam ein Windstoß, nicht stark, aber er vertrieb die Sonnenwärme. Er rauschte durch die braunen Herbstblätter und beugte die Wipfel von Fichten und Kiefern. Drinnen in der Mühle hingegen war es sicher und still. Fahles Licht drang durch Ritzen und Löcher im Dach hinunter zu den vermodernden Bodenbrettern und dem längst verrotteten Sägemehl. Nancy gegenüber befand sich der massige Umriss des alten Dampftriebwerks, das einer anderen Zeit angehörte und das seit langem jeglicher irgendwie wertvoller Teile beraubt worden war. Sie stolperte darauf zu, duckte sich unter einem gigantischen, eisenbestückten Schwungrad und in einen Lichtfleck, der von einem Loch im Dach herrührte. Oben in

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