Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
Vom Netzwerk:
der Dachrinne zwitscherten ein paar Kohlmeisen. Nancy zog sich in den Schatten zurück und sah den engen, quadratischen, offenen Schacht an einer Seite des Kamins. Eine alte Eisenleiter führte darin nach unten und am Grunde des Kamins befand sich eine rostige Eisentür. Vorsichtig stieg sie hinunter. Begab sie sich in eine Falle? War das nicht genau die Art von Versteck, wo sie zuerst nach ihr suchen würden? Dann entdeckte sie eine zweite Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Schachts. Sie ging hin und drückte dagegen. Die Tür klemmte, gab aber schließlich nach. Sie fand sich in einem dunklen Raum voller Schutt wieder, über ihrem Kopf das ausgeweidete Innere der Dampfmaschine. Sie schob herabgestürzte Balken und Ziegel beiseite und fühlte sich plötzlich in Sicherheit. Sie musste sich hinlegen. Sie konnte nicht mehr. Mit einer Anstrengung, die ihre letzte Kraft kostete, kletterte sie auf den Vorsprung einer Steinwand am Ende des Raums und von dort in den engen Raum zwischen den Balken, die den Fußboden darüber trugen. Mit den Füßen voran rutschte sie immer weiter nach hinten in eine dichter werdende Finsternis. Etwas quietschte protestierend und trippelte davon, ein Eichhörnchen, dachte sie. Da waren verwelkte Blätter und der Geruch von Nagetieren. Und das Gefühl, dass es überall Spinnen gab.
    Es war ihr egal. Von hinten und von oben war sie sicher, außer sie rissen die Bodenbretter heraus. Sie konnte schlafen und sich erholen.
    Sie legte die Schrotflinte ab, die Mündung auf das schwache graue Licht aus dem Raum unter der Dampfmaschine gerichtet. Sie führte die Feldflasche nahe an ihr Gesicht, um den Metallverschluss zu lösen. Aber es gelang ihr nicht mehr. Sie verlor das Bewusstsein.

17
    Als Martin das Wasser bei Gregs erstem Schuss hochspritzen sah, nahm er es nicht wirklich wahr. Der Gedanke durchzuckte ihn, dass ein Fisch hochgesprungen war. Aber der zweite Wasserstrahl explodierte direkt vor ihm, und so nah am Ufer, dass Schlamm mit aufspritzte. Da wusste er, was los war. Und hörte das entfernte Krachen des ersten Schusses mit Verzögerung über die gläserne Oberfläche des Sees zu ihm dringen, dann den zweiten.
    Halb drehte er sich um und sah das Boot mit Ken, Greg und Art. Ein gewaltiger unkontrollierbarer Krampf durchzuckte seinen Körper und schleuderte ihn ins Gebüsch. Dünne Äste schlugen ihm ins Gesicht und schlossen sich über ihm; er hörte den heftigen Einschlag einer Kugel in einen Baum, und ein weiterer Schuss peitschte pfeifend einen Felsen zu seinen Füßen. Und wieder dröhnte das Gewehr über das Wasser hinter ihm.
    Indem er jede Vorsicht und jeden Versuch, still zu sein, aufgab, stürzte er in wahnsinniger Raserei tiefer und tiefer in den Wald, bis seine Lungen brannten, seine Beine Gummi wurden und er anhalten musste. Kniend klammerte er sich an einen Baum. Als seine Lebenskräfte zurückkamen, versuchte er, Bilanz zu ziehen.
    Nancy war weg, so gut wie tot, auf der Insel in der Falle. Um sie brauchten sich die drei also eine Weile nicht zu kümmern. Nur um ihn. Und sie würden jetzt landen, wenn sie nicht schon am Ufer waren. Wo waren sie? Irgendwo hinter ihm, natürlich. Wie weit war er gekommen? In welcher Richtung? Sein rasender Puls wurde langsamer, und er begann zu horchen. Zuerst Stille, dann einige Sumpfvögel, der Schrei einer Rotdrossel, und der Ruf einer aufgeschreckten Ente hoch über ihm. Dann hinter ihm, das entfernte und leicht gedämpfte Geräusch eines Außenbordmotors, der gestartet wurde.
    Er bewegte sich weiter vorwärts. Er musste wohl vom Ufer aus in einer geraden Linie in den Wald gelaufen sein. Wahrscheinlich hatte er hundert Yards zurückgelegt. Er brauchte nur weiterzulaufen. Sein Tempo gegen ihres. Egal, wo er sich ausruhte. Nachts würde es schon irgendeinen Platz zum Hinlegen geben, ein umgestürzter Baum mit einem Laubnest darunter, oder eine Felsspalte, wo er vor dem Wind geschützt war. Wenn seine Klamotten nicht schon vorher an ihm festfroren.
    Er fing an, eine tiefe Kälte zu spüren, so tief, dass sie aus seinem Inneren zu kommen und von dort nach außen vorzudringen schien. Und seine nassen Füße hatten angefangen, in den Schuhen zu reiben. Bald würden seine Sohlen aufgescheuert sein.
    Plötzlich blieb er stehen. Das Gestrüpp war nicht mehr so dicht. Direkt vor ihm lag ein weites, offenes Gelände, wo sich vereinzelte Grasbüschel im Wind neigten. Es war ein Sumpf. Bevor er die dunkle Mauer des dichten Waldes auf der anderen

Weitere Kostenlose Bücher