Jagdzeit
Zeit zählte nicht. Seine Augen rasten hin und her; sein Kopf wandte sich von einer Seite zur anderen und suchte sorgfältig das Gebüsch ab. Da war nichts. Außer schließlich dem ruhigen Wasser des Sees. Ungefähr ein Yard entfernt. Draußen, im Schlauchboot, kreuzte Greg langsam zwischen Insel und Festland. Das bedeutete, dass er entweder von Art oder Ken verfolgt wurde.
Martin hielt den Atem an und wartete. Betete, dass wer von den beiden auch immer hinter ihm her war, einen Fehler machte.
Dann sah er den gestiefelten Fuß. In Reichweite seiner ausgestreckten Hand. Der Schnürstiefel und grobe Jagdsocken, die darübergeschlagen waren. Er war dorthin gekommen, ohne dass er auch nur das Geringste gehört hatte. Der Fuß wäre beinahe auf ihn draufgetreten. Darüber würde sich das Bein, der Körper und das Gehirn eines Mannes befinden, welches einem Finger das Signal geben würde, den Abzug eines Gewehrs zu betätigen.
Einfach hier.
Er war noch nicht dafür bereit. Es war nicht fair. Plötzliche unkontrollierbare Tränen der Verbitterung schnitten Martin den Atem ab, erstickten ihn fast und erregten ein hörbares Schluchzen in seiner Brust. Dann, mit einem Schlag, wurde aus dem Schluchzen ein Schrei. Er riss an dem Fuß, noch auf allen Vieren, und versuchte sich aufzurichten. Ein Gewehrkolben knallte gegen seinen Kopf; es gab ein zerschmetterndes Dröhnen. Aber es war nicht er, er war nicht erschossen. Alles wurde wieder klar. Über ihm stand Ken, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, und rang um sein Gewehr, das Martin ihm zu entwinden versuchte.
Draußen auf dem See, im Boot stehend, versuchte Greg zu erkennen, was gerade passierte.
Und er, Martin selbst, schlug auf Kens Gesicht ein, Ken knallte hin, er, über ihm, wehrte blindlings das Gewehr von seinem eigenen Gesicht ab. Schließlich Kens empfindliche Genitalien und seine Faust, die einmal, zweimal, dreimal, immer wieder zuschlug.
Von Ken war ein erstickter Schrei zu hören. Er ließ das Gewehr los und wand sich, um freizukommen. In der Sekunde, in der das Gewehr frei war, riss Martin es herum, um zu schießen, musste es aber von einem Bäumchen befreien, das zwischen ihn und Ken geraten war. Dann war es schon zu spät. Ken, die Augen weiß vor Schmerz und Angst, machte einen unkontrollierten langen Sprung rückwärts und schlug auf dem See auf. Er tauchte unter, als Martin schoss. Er kam wieder hoch. Martin schoss erneut, zu voreilig. Ken tauchte ein zweites Mal unter, mit kräftigen Stößen.
Vögel kreischten. Von oben kam das Geräusch einer Kugel, die Sumach zerfetzte und davonpfiff, und das Krachen von Gregs Schuss und das Echo seines Gewehrs über dem See. Eine weitere Kugel und noch eine, Greg gab Ken mit einem Kugelhagel Deckung und seine Schüsse waren jetzt ein einziger donnernder Widerhall.
Martin tauchte tief ins Gebüsch ab. Ken kam wieder an die Oberfläche und kreischte: „Art! Pass auf! Er hat mein Gewehr! Art!“
Bleib stehen, verdammt noch mal. Bleib stehen und denk nach. Jetzt bloß keine Panik, sonst verspielst du deine Chancen. Martin hielt sich an einer Birke fest, um Atem zu schöpfen. Glühender Schmerz in seinem Handrücken, mit dem er auf das Knie geprallt war, das Ken ihm panisch zur Verteidigung entgegengestemmt hatte. Heilige Scheiße, wenn er nackt gewesen wäre, hätte ich seinen Schwanz rausgerissen, abgebissen, wenn ich gekonnt hätte. Du Scheißhaufen, erfrier in diesem Wasser, dreckiger, widerlicher, verfickter Bastard. Frier dir deine zermatschten Eier ab. Wildheit brach in einem Triumphschrei aus Martin hervor, ein Schrei der Rettung. Er wollte kratzen, schlagen, schießen. Jetzt hatte er die Schweine. Einer war außer Gefecht, einer im Boot. Nur der dritte stand noch zwischen ihm und seiner Rettung. Und er war bewaffnet.
Wo war Art, damit er ihn töten konnte, den dreckigen Schwulen? Er wartete, biss sich auf die Lippen, um das Keuchen seines Atems zurückzuhalten. Der Wald war still; der Außenbordmotor tuckerte im Leerlauf, wartend. Wo immer Ken sein mochte, höchstwahrscheinlich hinter einem Hügel im Wasser, er bewegte sich nicht.
Martin zwang sich, mit kühlem Kopf zu denken. Wenn er wieder durchs Gebüsch kroch, würde er womöglich alles verderben. Was ihm mit Ken beinahe passiert wäre. Wie nahe er an ihn herangekommen war! Jedenfalls kam er im Gebüsch nur langsam vorwärts. Ken würde sich wieder zusammenreißen und ihn verfolgen. Wenn er sich wieder zurück Richtung Sumpf bewegte, um sich vor
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