Jage zwei Tiger
ließe. Pauline sagte als Erste etwas. Sie wollte zwar nicht mitkommen, bot jedoch als stilechte Powerbehinderte, so nannte sie sich selbst immer, an, vor ihrer Wasserskiverabredung am nächsten Morgen ein bisschen Proviant für die Fahrt zuzubereiten. Cecile wollte Pauline fragen, wie das mit dem Wasserski funktionierte, wenn man querschnittsgelähmt war, wurde aber von zwei Skaterjungs namens Murat und Kowalski unterbrochen, die zuerst im Chor »Geil, Italy!« riefen, sich dann aber gegenseitig darauf aufmerksam machten, dass ihre Freundinnen ihr Abitur noch nicht hatten und sie ohne die nirgendwohin konnten. Artur, der Pole, sagte: »Fucking hell, ich hasse Italien. Ich hasse überhaupt alles, da müssen wir gar nicht drüber reden.«
Noch am selben Abend schmissen vier Menschen wahllos Zeug in ihre Taschen, während sich Cecile seelenruhig Indiana Jones im Fernsehen ansehen konnte, weil sie ihre nie ausgepackt hatte. Und am nächsten Morgen verfrachtete sie mit Julia, Aram und Mike, der grundsätzlich das tat, was man von ihm wollte, und einer Freundin von Pauline, die am vorigen Abend zufällig zu Besuch gewesen war, ihren Scheiß in Arams Volvo. Alexandra war Mitte dreißig und hatte die Stimme einer Vierjährigen. Sie war mal Vorsitzende des Kleinwüchsigenverbandes gewesen, lebte inzwischen von Vollbehindertenrente und hatte erklärt, dass ihr der Italienvorschlag auf ihrer Suche nach neuen Herausforderungen gerade recht komme. Sie fuhren los. Es war alles sehr unspektakulär. Nach und nach gingen die Fensterläden des Hauses auf, ihre verschlafenen Freunde steckten die Köpfe raus und winkten sich dumm und dämlich, bis das Auto nicht mehr zu sehen war. Wenige Minuten später würden sie entweder weiterschlafen, sich mit Magisterarbeiten über die Photosynthese auseinandersetzen, Wer wird Millionär im Internet spielen oder sich dem Zubereiten von mit Haschisch versetzten Krümelmonstercupcakes widmen.
Zuerst fuhren die fünf bei Arams Mutter vorbei, die zwei Straßen weiter in einem Haus lebte, für das ihr Mann damals seine Lebensversicherung aufgelöst hatte. Kurze Zeit nach der Fertigstellung war er jedoch in eine Kreissäge gefallen, fast verblutet und nach seiner Genesung vor lauter Versicherungsschulden und Erweckungserlebnissen mit seiner Logopädin nach Gran Canaria abgehauen. Seitdem war Arams Mutter der typische Fall einer zittrigen Medikamentenabhängigen. Ihre Schultern waren eingefallen und halb so breit wie ihr Arsch, dünne Ärmchen, ein starrer Silberblick. Als sie die Tür aufmachte und die schwer einzuordnende um ihren Sohn gruppierte Ansammlung von Freaks erblickte, inklusive Julia, die einen Fuchsschal zu einem durchsichtigen Chiffonhängerchen unter ihrem Mantel trug und ihr von Aram hektisch als seine Freundin vorgestellt wurde, machte sie die Tür einfach wieder zu, wenn auch sehr langsam.
Aram seufzte, bat die anderen, draußen zu warten, und sprang über den Zaun, um das Haus durch die Hintertür zu betreten. An seinem Rücken sah Cecile, wie traurig er war. Die anderen setzten sich auf die zur Tür führenden Treppenstufen und fingen an Witze zu erzählen. Cecile kannte die besten. Als sie den von der Rosine erzählte, die von einer anderen Rosine gefragt wird, warum sie einen Helm trägt, und antwortet: »Bist du verrückt, es ist halb sechs, wir müssen in den Stollen«, mussten alle sehr lange lachen. Danach erzählte Alexandra davon, wie sie mal in einer Villa in Los Angeles die Tür aufgemacht hatte und davor Pierce Brosnan nur mit Federschmuck bekleidet aus einer riesigen Torte hüpfte,»So tell the girls that I am back in town« singend, was zwar nicht stimmen konnte, aber unterhaltsam war.
Als Aram wiederkam, zwanzig Minuten später, hatte er ein Paket in der Hand. Julia stürmte auf ihn zu, sprang ihm in die Arme und fragte besorgt, was seine Mutter gesagt habe.
»Dass ich das hier zur Post bringen soll«, sagte Aram völlig neutral.
»Sonst nichts?«
Aram überlegte fieberhaft.
»Doch.«
Julia wartete gespannt, und er fuhr fort: »Dass irgendeine ihrer Großcousinen den Knigge-Erben geheiratet hat und jetzt auf dessen Trüffelfarm nach Griechenland gezogen ist.«
Julia guckte skeptisch.
»Könnte der Extremfall eingetreten sein, dass sie nicht mitgekriegt hat, dass du, keine Ahnung, nicht mehr zurückkommst?«, fragte Alexandra.
»Nein«, sagte Aram.
Julia: »Und war sie nicht in irgendeiner Weise, wie soll ich sagen – betrübt oder so?«
»Doch,
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