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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Sofa sterben, und ließ anspannen, immerhin den Kutschwagen. Als die Kutsche wie wild durch die Dorfstraße fuhr, wachte Frau Cresspahl ein bißchen auf und erkannte das Gehöft der Schmoogs. Vielleicht hatte sie Angst, im Krankenhaus mit Sicherheit zu sterben, oder sie wollte den Besuch nicht versäumen, zu dem sie eigentlich gekommen war. Sie bestand darauf, daß sie bei Schmoogs abgeladen wurde.
    Sie lag zwei Tage im Bett ihrer Freundin, nicht aufgeregt, meistens schlafend. Sie war so müde, sie ließ sich bedienen. Wenn sie die Augen aufschlug, glaubte Frau Schmoog Enttäuschung zu erkennen, weil nicht jemand anders vor dem Bett stand. Als Cresspahl sich in die Kammer bückte, glaubten die Schmoogs sie noch am Leben. Sie war also beim Sterben allein gewesen.
    Das Haus von Schmoog hat an der Stirn des Strohdachs die gekreuzten Pferdeköpfe und eine Jahreszahl aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert. Das Dach sitzt tief auf Lehmfachwerk. Im vorderen Teil der Diele gingen die Ställe für Kühe und Pferde ab. Jetzt war die Diele ganz blank gefegt, mit Wasser, so daß der gestampfte Lehm aussah wie unebenes Gestein. Der Sarg hatte den Ehrenplatz. Auf dem Weg zur Wohnstube wie zur Küche mußte jeder ihn grüßen.
    Erna Schmoog war mit den Haaren ihrer Freundin nicht zurechtgekommen. Im Ansatz des Scheitels hatten sich die Strähnen überlagert. Sie bat Cresspahl um Entschuldigung. Cresspahl erinnerte sie: sie hat es im Leben so getragen.
    Als die Trauergäste aus dem Dorf zusammengekommen waren, fiel mit einem Male auf, daß Frau Schmoog mit dem Sohn ihrer Freundin auf eine unbeschwerte, fast muntere Weise sprach. Frau Schmoog war nicht älter als die Tote. Sie hatte nun ihrem Mann wie dem Gesinde zeigen können, wie sie ihren eigenen Tod begangen wünschte.
    Der Sarg sollte schon geschlossen werden, da trat die Versammlung der Gäste auseinander und machte einen weiten Gang frei für einen alten Mann, der krumm ging bis in die geknickten Knie. Er war sehr klein geworden. Er nahm den Zylinder in die Hand, als er die Diele noch gar nicht betreten hatte. Er hatte mit Berta Niemann kein Wort gesprochen, seit sie Heinrich Cresspahl geheiratet hatte, auch den Schmoogs nie mehr die Tageszeit geboten, einmal wegen ihrer Freundschaft mit der neuen Frau Cresspahl, zum anderen wegen eines Streits um 1890, über einen Streifen Acker. Der Alte hatte seit dem Krieg auch im Dorf kaum noch sich sehen lassen. Er war nicht verlegen. Er ging langsam auf den Sarg zu. Er stand lange vor dem Sarg. Er versuchte, seinen Rücken gerade zu halten. Dann war seinem Nacken anzusehen, daß er der Toten zugenickt hatte. Dann wandte er sich um und gab der Tochter der Toten die Hand, dann dem Sohn, dann der Verwandtschaft.
    Dann ging er hinüber zu den Schmoogs und gab allen die Hand, auch den Söhnen, Schwiegertöchtern, Enkelkindern.
    Dann traten alle wieder dicht um den Sarg zusammen, damit der Pastor nichts sah. Cresspahl setzte den Deckel auf. Dann halfen sie ihm, die Schrauben locker festzudrehen.
    Nach Malchow waren es zwei Stunden, im Schritt gefahren. Das Dorf hatte seinen Leichenwagen hergegeben. Es lehnten nicht viele Kränze am Sarg. Dennoch sah der Kranz der Familie Papenbrock sparsamer aus als die anderen.
    Die Gutsherrschaft hatte einen Gummiwagen mit Bänken geschickt. Da, und auf dem dritten Wagen, reichte der Platz für die Alten und Frauen. Cresspahl und seine Schwester wären wohl ohnehin zu Fuß hinter dem Sarg gegangen. Sie ließen Hilde neben ihnen gehen.
    In Malchow trugen den Sarg in die Kirche: Martin Niebuhr, Peter Niebuhr, Alexander Paepcke. Günter Schmoog, Paul Schmoog, Heinz Mootsaak. In der Kirche ließen sie Cresspahl allein, damit er seine Mutter noch einmal richtig hinlegen konnte. Als er aus dem Portal kam, gingen die sechs ohne ihn hinein und schraubten den Sarg zu, fest diesmal. Dann begann der Gottesdienst.
    Cresspahl war sehr freundlich zu allen, auch zu Hilde. Bei Meininger in der Langen Straße saß sie neben ihm. Er betrug sich wie jemand, der eine Arbeit zu Ende gebracht hat. Einmal stand er auf und dankte allen für das Mitkommen. Danach sah er dem Essen und Trinken um ihn zu ohne Ungeduld. Diese Rechnung war auch noch zu bezahlen. Dann konnte er gehen.
    Hilde legte es darauf an, ihre Schwester zum Weinen zu bringen. Ihr war es recht, daß Cresspahl seinen Willen bekam.
    Sie erzählte nicht, wie es war. Sie machte aus dem Gewesenen undeutliche Vorwürfe für die jüngere Schwester, als sei die noch

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