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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Loslos und der gelassene Neger in der Lautsprecherkabine sagt gern und fürsorglich immer noch einmal seine Lebensweisheit auf.
    Walk, don’t run!
    A fall is no fun!
    Step lively, ladies and gentlemen!
    Watch your step, please!
    There is a train due on track 3.
    Noch ein Vorurteil war einheimisch, und lebte von der Hoffnung, daß die Wiederholung von Reklame nicht mehr abgeschlagen werde von Geldbesitzern, die den Aufrufen Bitten Belehrungen Ratschlägen Anbiederungen Drohungen der Industrie so wehrlos ausgesetzt sind wie in einer bis an den Rand vollgepackten Ubahn; ich, for one, sehe die Plakate nicht mehr und weiß nur noch das erste aus dem Jahr 1961, das die Fahrgäste fragte, ob sie etwa auch neun Leben hätten wie eine Katze oder am Ende doch nur eines und ob sie sich das mal überlegen wollten; allerdings sehe ich die Verzierung der Werbung durch Fahrgäste, die das Zahnpastalächeln eines Mannequins erst mit Blaustiftflecken in den Vorderzähnen schön finden oder eine vornehm geschwungene Fotonase doch lieber mit einem buschig gespreizten Bart abfangen.
    I call my bank president Henry. How do you call your bank president?
    I call him an ass, and a son of a bitch.
    Seit sechs Jahren hängt an unserer Wand oberhalb des Telefons jene Ubahnkarte, die das Hotel unserer ersten Tage mit den Empfehlungen der Union Dime Savings-Bank austeilte. Sie mutet an wie die Einführung in ein Wandergebiet. Die Flüsse, der Sund und der Atlantik umgeben die Landstücke mit einem schmutzigen blassen Grün, viel freundliche Laubfarbe ist an die Stelle von Parks und sogar Flugplänen und Friedhöfen gekleckst und sitzt unter der Windrose, die vierundzwanzig Richtungen angibt. Über die ganzen und halben Inseln und über das Wasser aber laufen rot und dunkelblau und orange die Linien der Subway von damals, hübsch verknotet im südlichen Manhattan und um die Straße Jay in Brooklyn, ungeschickt in Kurven gerundet oder geradezu eckig seitwärts strebend, wie Fußwege im Wald. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt sind fast immer richtig an ihre Standorte gedruckt (damals gab es noch die elektrische Fähre von der 69. Straße in Brooklyn nach Staten Island. Die haben wir versäumt), als unser Gegenüber am Fluß ist nicht nur der Staat New Jersey angegeben sondern auch der Ort Edgewater, die ungefähre Form der Brücken ist über die Flüsse skizziert, über den beiden Flugfeldern hängen tapsige Flugmaschinen, die Statue namens Liberty steht auf einem spitzzackigen Adventsstern, und tatsächlich fährt da doch eine South Ferry vom Battery Park und hält einen zierlich gedrehten Zopf weißen Rauches über sich. Zwei gelbe Einsätze weisen hin auf die Häuser der Bank, die all dies spenden will, und wo immer Subway und Parks einen freien Raum lassen, hat sie allerliebste Briefkästen aufgebaut, für Geldgeschäfte per Post, und all diese Großzügigkeit und Fürsorge hat der Bank nicht einen einzigen Dime, nicht zehn Cent aus unserem Haushalt eingebracht; uns aber ein auswendiges Bild der Linien der Subway. Verbindlichen Dank, Union Dime Savings!
    Die Sonne hat sich hinter den Fluß zurückgezogen und beleuchtet nun die Uferbauten tief von unten, so daß sie wie liebliche, wenn auch undeutliche Vegetation erscheinen. Nun beginnt Marie zu fehlen. Nun ruft Marie an. Die Neuigkeit ist, daß es die Kunden der bisherigen IND und BMT schwer erwischt hat. Da halten die Züge in einem Bahnhof, den es bisher nicht gab, und halten nicht in Bahnhöfen, wo sie immer gehalten haben, und manche fahren auf Strecken, auf denen sie nie gefahren sind. Auf den Stationen unter dem Times Square stehen die Leute vor den neuen Plänen und finden keinen Weg, auf dem sie wieder hinaus und nach Hause kämen, denn es ist ja nicht nur, daß die Züge solche Namen wie QJ und QB bekommen haben, sie lassen sich eben auch nicht mehr am Times Square erwischen, sondern nur noch an der DeKalb Avenue in Brooklyn, die bisher gar nicht als Umsteige bekannt gewesen ist. Da steht ein Mann in blauer Uniform und ist Kondukteur und heißt Ossi Bell und hat zwischen eins und zwei 43 Leuten mit Auskünften aus ihrer tiefen Verwirrung zu helfen gesucht. Nicht daß Marie seiner bedurft hätte; sie hat aus eigenen Kräften festgestellt, daß der Expreß zum Strand von Brighton, der früher unter dem Namen Q via Broadway fuhr, neuerdings unter dem Namen D aus der Bronx kommt und daß wir ihn eben nunmehr am Columbus Circle erwischen werden; und die Züge zum Strand von Rockaway, unter

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