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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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elf Jahre Zwangsarbeit, weil er an einer Verschickung nach Viet Nam nicht teilnahm (sein Krieg werde in den Ghettos von Philadelphia geführt). Der Befehlshaber der ägyptischen Truppen im Israelkrieg hat sich vergiftet. Der deutsche Chemiker Albert Widmann, beteiligt an Bau und Erprobung fahrbarer Gaskammern, ist in Stuttgart freigelassen worden. Zum ersten Mal seit sechs Tagen erspart uns die New York Times das bittende Gejaul von Swetlana Dshugashwili.
    Erst auf der Rückfahrt, wenn die Fähre schon wieder auf der Höhe von South Brooklyn ist, holt Marie Gesine auf das oberste Deck und erklärt ihr die Schiffe, die im düsteren Nebel vor den Narrows liegen, den Pulverturm auf Governor’s Island und die Baracken, die die Armee neben die klassischen rotweißen Bauten aus dem vorigen Jahrhundert gesetzt hat; unbekümmert läßt sie sich das Gesicht scheuern von dem raschen nassen Wind, mit dem die Ausläufer des Hurrikans Doria auf die Hängenetze der drei Brücken über dem abendlichen East River zuziehen. Sie sagt: Thank you very much for taking me, ernsthaft und mit glatter Miene, als hätte sie für die South Ferry der Aufsicht bedurft. Allein mit der South Ferry zu fahren ist ihr noch nie eingefallen.
    Wir sind dann nach Rande gefahren und haben den Bäderdampfer nach Travemünde genommen. Sie ist noch mitgekommen bis Hamburg. Sie war nicht traurig.
    We were very tired, we were very merry.
    We had gone back and forth all night on the ferry.

17. September, 1967 Sonntag
    Gestern mittag war in der londoner Bayswater Road anzusehen, wie ein Mann von vier anderen gegen seinen Willen in ein Auto gestopft wurde. Er rief vernehmlich nach der Polizei. Nachmittags schickte Scotland Yard Einsatzwagen nach Heathrow, die ein Flugzeug der Aeroflot auf der Startbahn blockierten. Aus der umstellten Maschine holte die Polizei, nach einem Handgemenge mit Kapitän und Mannschaft, einen jungen sowjetischen Physiker, der acht Monate in Birmingham studiert hatte. Beim Verhör durch die Briten schien er nicht ganz bei sich. Die sowjetische Vertretung in London ließ erklären, Mr. Tkatschenko habe England, angegriffener Nerven wegen, vorzeitig verlassen wollen, und der Botschaftsarzt habe ihm eine Injektion verabreicht. (Darauf rief Mr. Tkatschenko nach der Polizei.)
    Cresspahl, zurück in London zu Beginn der 36. Steuerwoche 1931, richtete sich allen Ernstes auf ein Leben mit Papenbrocks jüngster Tochter ein. Die beiden Gesellen, mit denen er für gewöhnlich die Tischlerei unterhielt, sahen ihn nun öfters auf dem mit Hinterhöfen umbauten Hof stehen, den Blick gegen das Ziegelpflaster oder gegen den Schornstein des Gaswerks von Richmond, die Hand im Nacken, tief im Überlegen, ohne je den Kopf über sich zu schütteln. Da sie aber beide länger als ein Jahr für ihn und meistens neben ihm gearbeitet hatten, wiesen sie einander nur mit Lächeln hin auf den Alten, der in der Hitze stand wie ein Blinder, Minuten lang, bis er wieder hörte, daß innen gar kein Hobel mehr ging. Der jüngere, genannt Perceval, ging an einem späten Abend kundschaften und konnte doch nur erzählen, daß der Alte noch bis Mitternacht in der Werkstatt zu Gange gewesen war. Darauf boten sie ihm an, Überstunden zu arbeiten. Aber Cresspahl hatte gar keinen von ihnen entlassen wollen.
    Die Firma gehörte Cresspahl nicht. Die Firma, Pascal und Sohn, gehörte Albert A. Gosling, Esq. Albert A. Gosling war ein drahtiges, ängstliches Männchen, Teilbesitzer eines Textiliengeschäftes in Uxbridge, und war durch das Gesetz der Erbe Pascals geworden. Reggie Pascal, ohne Nachkommen und selbst schon der Sohn im Firmennamen, hatte das Geschäft der Tischlerinnung von Richmond zugedacht. Gosling focht die Verfügung als entfernter Neffe an, und als Einzelhändler sah er die Werkstatt an für einen Grundbesitz, zu verkaufen. Die Anwälte, Burse, Dunaway & Salomon, die nicht freudig für den wechselhaft kriegerischen und kriecherischen Mandanten aufgetreten waren, überwanden sich und erklärten ihm die Firma Pascal und Sohn, seit einer Generation eingeführt bei bürgerlichen und fürstlichen Dauerkunden, als ein Kapital. Als Albert A. Gosling zu erkennen gab, daß er vom Kapital die Zinsen verstanden hatte, annoncierten Burse, Dunaway und Salomon in der Richmond and Twickenham Times nach einem Meister, der bereit war, einen Tischlereibetrieb im Auftrag zu verwalten. Cresspahl bemerkte das Inserat, als er mit Mrs. Trowbridge von einem Ausflug nach Dorking zurückkam

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