Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
bemerkt, er räuspert sich viele behäbige Male. Endlich hustet er los, mit kräftigen Schulterstößen. Endlich ist der Schlaf so fadenscheinig, daß die Bilder mitten im Laufen reißen. Es ist kein Traum, es ist das morgendliche Anlaufen der Heizung. Die Heizperiode hat begonnen.
Sehr geehrte Hausverwaltung, immer von neuem kann ich diese Geräusche nicht glauben.
Schon recht, Mrs. Cresspahl.
Aber nicht in New York .
In New York müssen die Leute in den Slums halbe Tage lang mit Hämmern an die Heizrohre schlagen, ehe der Hauswart die Heizung anwirft.
Ist es wahr, daß unser Haus mit seinen siebzig Jahren innen durch und durch verrottet ist?
Unverkennbar, Mrs. Cresspahl. Es ist verrottet, durch und durch. Das sind die Hypotheken, die fressen sich von oben nach unten durch. Einen Guten Morgen übrigens, Mrs. Cresspahl.
Später, wenn die Heizung ihre Erregung zu hilflosem Zischen in den Heizkörperventilen gedämpft hat, treten die anderen Geräusche des Sonntags auf. Da ist das Rascheln, mit dem das gefallene Laub den Schuhen der Spaziergänger nachgibt. Da ist der Wecker in einer der Wohnungen über uns, der die Stunde vor dem Gottesdienst ankündigt. Da ist der wabblige Salat aus den symphonischen Rundfunkprogrammen. Da ist der Flüsterwind im Park, der gelangweiltes Kindergespräch ins Fenster steckt. Da ist das leise Klicken, das entsteht, wenn der Parkwächter sich mit seinem ganzen Gewicht an die Ketten der Kinderschaukeln hängt, eine nach der anderen, um einem Unglück auch für diesen Tag vorzubeugen.
Wir meinen den stillen Parkwächter, den sechseinhalb Fuß langen, den mageren und wortkargen, der die Kinder grüßt, als seien sie seine Arbeitgeber. Wir meinen nicht seinen Assistenten aus dem Sommer, den Puertorikaner, der die grüne Dienstkleidung des Gartenbauamtes zwischen den Müttern spazierentrug wie eine Uniform, die Handschuhe wie eine Feldflasche am Gürtel, der mit den Kindern johlte, in straffer Haltung paradierte, bis alle ihn wahrgenommen hatten. Wir meinen den Neger, dessen Overall die Arbeit anzusehen ist, der die Handschuhe meist an den Händen hat, wenn er Abfall und Laub zusammenfegt, auch unter und hinter den Bänken, wie in eigenem Garten, während der andere, auch noch stolz auf den grauen Schimmer in seinen Haaren, die Damen unterhielt. Der andere konnte lesen und schreiben, der muß hier nicht mehr arbeiten. Der Neger ist geblieben. Er grüßt die erwachsenen Gäste des Spielplatzes von langer Bekanntschaft her, jedoch nicht vertraulich, mit einem beiläufigen, gleichsam verzeihenden Lächeln. Wir kennen von ihm nicht einmal seinen Vornamen.
Zu den anderen frühen Geräuschen des Sonntags gehört das Ächzen des Liftkabels, wenn Esmeralda den Jungen vom Zeitungsvertrieb West End ins dreizehnte Stockwerk fährt. Dann kommt er in dreistufigen Sprüngen hinunter auf der dröhnenden Eisentreppe hinter dem Aufzuggehäuse und verbreitet in Stockwerk nach Stockwerk die New York Times, fünf amerikanische Pfund Papier, die mit sattem Klatschen vor den numerierten Türen aufschlagen, auch vor der Wohnung 204. Mrs. Cresspahl will nicht noch einmal eine Sonntagsausgabe versäumen: seit gestern gehört sie zu den Kunden dieses abgerissenen Negerjungen, der gleich die schwere Haustür hinter sich knallen lassen wird, erleichtert für die wenigen Schritte, die ihn von seinem gewichtig beladenen Karren trennen.
Gouverneur Romney hat sich neunzehn Tage lang in den städtischen Slums des Landes umgesehen. Er glaubt die Städte am Rande der offenen Rebellion. Der Psychologe Dr. Clark, New York, hat den Ghettoneger von heute beschrieben als zynisch, verbittert, feindselig und entnervt, weil die berufliche Situation, die der Wohnverhältnisse und die der Schule im nationalen Slum keinerlei Fortschritt aufweisen.
Die Sowjets werden einem ihrer Schriftsteller den Prozeß machen, weil er protestierte dagegen, daß Schriftstellern ein Prozeß gemacht wurde.
In der Schlacht um Conthien haben die amerikanischen Marineinfanteristen einen neuen Ausdruck für den Tod unter Artilleriefeuer: man wird »weggeblasen«.
Vorsitzende und Vertrauensleute von sieben Gewerkschaften, die Arbeitnehmer der New York Times vertreten, haben bei Stadt, Staat und Bund um mehr Polizeischutz gebeten. Aus Angst vor Überfällen trauen die sich nicht mehr auf die Straße vor dem Gebäude der Times, die bei dieser Gelegenheit ihre eigene Adresse meldet: 229 West 41. Straße.
Und die gewöhnlichen Morde.
Der Park vor den
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