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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ihr die Hausaufgaben noch einmal am Telefon. Das ist es nicht. Mit Arbeit mein ich was anderes.
     
    Als der Pastor Stephen McKittrick, von der Lutherischen Kirche St. Paul, in seinem Autoradio hörte, daß der Familienvater Amok lief, rannte er in sein Haus und holte sich seine Schrotflinte mit den beiden Läufen übereinander, ein Geburtstaggeschenk seiner Frau, das er eigentlich zur Jagd auf wilde Truthähne hatte benutzen wollen.
     
    – Was ist die Arbeit.
    – Die Arbeit ist das Freundlichsein.
    – Ist sie freundlich?
    – In den ersten Wochen war sie steif vor Ängstlichkeit. Sie mochte den Blick nicht hochnehmen. Auch heute noch braucht sie Mut oder einen Rippenstoß, um sich zu melden. Aber bei mir, da tut sie sich keinen Zwang mehr an.
    – Sie hat sich bedankt.
    – Ich habe abgewinkt.
    – Sie ist freundlich geworden.
    – Und ich muß die Freundlichkeit zurückgeben! Sonst geht die Hilfe nicht. Sonst ist sie gekränkt. Und
    – Du magst sie nicht.
    – Ganz recht, ich finde sie häßlich.
    – Welche Neger findest du nicht häßlich.
    – Jason. Esther. Shakespeare.
    – Weil sie denen im Fernsehen ähneln.
    – Ich sehe nicht heimlich fern.
    – Entschuldige.
    – Nun sagt sie mir ins Gesicht hinein: sie findet mich nett. Demnächst wird sie mich morgens und zum Abschied umarmen. Jetzt will sie mich ganz.
    – Sie ist auf das Alibi hereingefallen.
    – Dafür will ich nicht mehr bezahlen.
    – Was bezahlst du?
    – Bei Marilyn. Bei Marcia. Bei Deborah. Die denken: Ich helfe Francine nicht aus Anstand allein. Die denken was Francine denkt: Ich täte das aus Liebe. Ich will da raus.
     
    Vor sieben Jahren mußte eine vierköpfige Familie für ein Leben ohne Luxus in New York noch bloß 5790 Dollar aufwenden. Das nationale Büro für Arbeitsstatistik hat den Standards dieses Lebens nur den Besitz des eigenen Heims zugeführt. Das ergibt, zusammen mit den gestiegenen Preisen und Steuern, für die selbe Familie 10 195 Dollar Ausgaben im Jahr 1966, 71 Prozent mehr. Vielleicht schaffen wir es hier doch nicht.
     
    – Warum kommst du erst jetzt damit an?
    – Ich wollte gutes Wetter abwarten.
    – Bei wem?
    – Bei dir, Gesine. Sprich über die Lage der Neger, und verlaß dich auf ungeduldiges Benehmen von Mrs. Cresspahl.
    – Du willst es Francine nicht sagen.
    – Nein. Das kann ich nicht.
    – Dann laß sie denken, was sie denkt, und behalte im Gedächtnis, warum du ihr hilfst.
    – Und meine echten Freundinnen?
    – Du kannst ihnen Bescheid geben, indem du sie um ihre Hilfe für Francine angehst.
    – Das wäre nicht gelogen?
    – Es wäre nicht direkt gelogen.
    – O. K. Dann bin ich raus. Danke.
    – Es ärgert dich nicht, daß wir nun all dies auf dem Tonband haben?
    – Nein. Übrigens, ein Mal würd ich Francine gern zu uns einladen. Wenn ich meine Party zu Halloween mache.
    – Jetzt willst du das Tonband täuschen.
    – Und du täuschst nicht, Gesine. Nicht einmal Tonbänder.
    – Vielleicht kann ich das besser.
    – Entschuldige. Ich meinte nicht dich. Ich meinte: wenn ich einen Gedanken wiedererkenne, noch bevor ich ihn ganz ausgesprochen habe, ist er dann wirklich von mir vorher gedacht worden? War es mir ernst, als ich ihn vielleicht dachte? Erinnere ich mich an ihn, oder an den Wunsch, ihn zu denken? Sag mal, Gesine.
     
    Abends, kaum waren wir im Haus, zieht eine Horde von Gewittern und Regenschauern aus dem Westen auf unsere Fenster zu, schlägt schnell und gewalttätig in die Stadt, von fünf bis kurz nach Mitternacht. Jetzt ist es kalt.

26. Oktober, 1967 Donnerstag
    Die Sowjets können den Übertritt ihres geheimen Kundschafters Runge immer noch nicht fassen, es sei denn als Erfindung und dowen Witz der Konkurrenz, und die Ostdeutschen beanspruchen ihn sogar als (kriminellen & flüchtigen) Staatsbürger. Im Gegenzug stellt die Konkurrenz in London Runges sowjetische Pässe, Kennkarten und Dokumente aus, echte Fotokopien.
    Dr. Gallup hat wieder einmal die Nation befragt. 46 vom Hundert haben ihm anvertraut, sie bedauerten das Engagement der U. S. A. in Viet Nam. 1965 waren es nur halb so viele.
    Die Stalina hat von ihren mehr als zweieinhalb Millionen Dollar ein bißchen verstreut unter Bedürftige, die ihr sympathisch sind. Sieben Achtel der Beute will sie für sich behalten.
    Der Amokläufer von Pennsylvania ist gestern morgen gestorben. Sein wirres Murmeln gab keinen Aufschluß (6 Hingerichtete, 6 Verwundete).
    Cresspahl hatte es nicht leicht, sein Kind anzumelden. Das Rathaus

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