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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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auf Aufforderung, dann weit weg, ihre langen staketigen Beine eng beieinander, die Hände auf den Knien verkrampft, den Blick gegen den Fußboden.
    Wenn sie sich für einen Topf mit Kakao bedankt hatte, sagte sie auch zu einem Umrührlöffel: Thank you, leise, ohne Hoffnung, als könne sie eine Gefahr doch nicht beschwichtigen. Einmal, weil Marie über D. E. sprach, glaubte sie sich nicht beobachtet und versuchte einen sichernden, ungläubigen Blick, der gleich wegduckte. Sie war so gekommen, wie das Unglück sie angetroffen hatte, in einem abgerissenen Mantel mit Holzfällermuster, und sie mochte ihn lange nicht ausziehen, als ob aus der Ankunft keine Unterkunft werden sollte.
    Wegen ihrer Mutter war es vielleicht nicht. Sie wollte nicht an unser Telefon, als wir endlich eine Krankenschwester an das ihre hatten holen können. Francine ließ sich sagen, daß ihre Mutter die Verwundung gut überleben werde; sie nickte ohne Erleichterung, eher aus Höflichkeit. Sie nickte zu der Nachricht, daß ihre älteren Geschwister immer noch nicht gefunden waren und der Jüngste in einem Kinderheim, als sei es ohne Vernunft, sich das zu merken. Dann war noch etwas, das Francines Mutter an Mrs. Cresspahl ausgerichtet wissen wollte: Gottes Segen. Das kann uns nicht recht sein.
    Falsch war, daß Marie das schwarze Kind mit einem Spiel ablenken wollte; Francine kannte Mikado nicht, war gehorsam genug es zu lernen und so unglücklich über ihre Ungeschicklichkeit, sie brach ohne Absicht einen Stab durch und war dann nicht zu trösten. - Nun können wir immer an dich denken, wenn uns dieser Stab fehlt: sagte Marie, aber Francine hörte da nicht ein freundwilliges, sondern ein erzürntes Gedenken angekündigt. Falsch war ein Abendgericht, das nicht mit der Hand zu essen ist, und es half nichts, daß Marie wie zufällig ihr Messer weglegte und dann das Kotelett wie Francine mit der Gabelkante anging. Es war nicht richtig, Francine unter die Dusche zu schicken; sie erkannte da einen Verdacht auf Schmutz und Ungeziefer. - Wir tun das jeden Abend: sagte Marie; Francine hörte da nicht die Auskunft, sondern eine Anordnung. Vielleicht war es richtig, ihr einen von Maries Pyjamas zu schenken und für den nächsten Tag einen vollständigen Satz Kleidung; richtig war es nicht, alle ihre Sachen gleich in den Korb für die Waschmaschine zu tun, als seien sie keinen Tag länger zu tragen. Sie war sehr erleichtert, als es ins Bett ging, weil sie nun nicht weitere Bedrohung durch den fremden Haushalt gewärtigen mußte, und zog sich die Decke bis über die stramm gedrehten Zöpfchen, die ihr von der Schädeldecke abstehen; sie blieb steif liegen, schlief lange nicht, auf der Hut vor unausdenklicher Gefahr.
    Rebecca Ferwalter war es nicht zufrieden, daß ihre Freundin ein schwarzes Kind aufgenommen hatte; die Schwarze kam aus einer Straße, einem Haus, vor denen die kleine Jüdin nachdrücklich gewarnt war. Rebecca, die adrette Person in dem Jackenkleid nach einem verkleinerten Muster für Erwachsene, Rebecca mit dem damenhaften Gehabe und dem puppenhaften Maskengesicht, sie fühlte sich in einer Falle und erfand während eines recht förmlichen Gesprächs den Befehl Mrs. Ferwalters, nach dem sie sich nur zehn Minuten lang aufhalten durfte bei uns. Rebecca hört mehrere Male am Tage, was ihrer Mutter recht ist, und noch öfter, was nicht.
    Francine war es nicht recht, daß wir nicht anders dachten, als daß eine Mutter mit Stichen in Brust und Schulter Besuch haben muß von zumindest einem ihrer Kinder; bei allen Erkundigungen an der Pforte und in den Fluren des Krankenhauses hielt sie sich so beiläufig abseits, daß zunächst die Cresspahls für die Besucher bei einer schwarzen Frau gehalten wurden. Francine ging nicht gern hinein zu ihrer Mutter, hielt auch nach wenigen Minuten die Tür des Krankensaales für uns auf. Dann war es, als habe sie noch weniger als wir zu tun mit der Frau, die unbehilflich hingepackt unter den grünen fiskalischen Decken lag, gefesselt in einen aufwendigen Verband, von Medikamenten halb betäubt, das flächige graue Gesicht von fiebrigem Schweiß eingedeckt. - Sie ist ein gutes Kind: sagte sie mühsam, und es mochte eine Überzeugung gewesen sein statt einer Bitte, Francine starrte mit einem Mal mürrisch, geradezu feindselig beiseite. Und daß wir die Enge zwischen den dicht gestellten Betten, den Geruch von Armut eher denn von Krankheit, die fremden Blicke von den schwarzen Nachbarn nicht lange aushielten, es war

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