Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
England?
– Ich weiß nicht. Ein Kuß auf Madame de Gaulle -
– Herr Kristlein, dies ist Norman Podhoretz. Norman, meet Anselm.
– Im Vertrauen gefragt: wer ist unsere Gastgeberin? Ich kenne die Seydlitzens.
– Da bin ich überfragt.
– Sind Sie mit dem Flugzeug gekommen oder mit dem Boot?
– How do you like America?
– Fahren Sie nie mit der Ubahn in New York. All diese Ritualmorde –
– Kennedy kandidiert. Spaltet glatt die Partei.
– Die Iren sind aber böse. Sie hätten heute vormittag auf der Fünften Avenue sein sollen!
– Halten Sie mal.
Die Getränke besorgt ein dunkelhäutiger Herr, den die meisten mit Joseph anreden, er heißt aber nicht so. Das Gerücht will von ihm, er sei Boxer gewesen, Liebhaber der Gräfin Seydlitz, Zugführer bei den Marineinfanteristen, Barmann. Er macht die Bar bei diesen Gesellschaften, hält sein verschwiegenes überlegsames Gesicht hoch über den ausladenden Schultern, trägt die weiße Jacke wie etwas Elegantes und arbeitet mit den Händen so griffsicher, als könnte man ihm ohne Schaden die Augen verbinden. Oft versucht ein Gast, ihn für eigene Einladungen abzuwerben; es ist keinem gelungen. Auf Leutseligkeiten antwortet er mit einem genau geplanten Lächeln, das im Gedächtnis zurückbleibt wie das der Cheshire-Katze. Seit Mrs. Cresspahl ihn einmal zu nachdenklich betrachtet hat, reicht er ihr das Glas mit Vorzug hin, und mag sie in der letzten Reihe des Gedränges vor seinem Tisch stehen. Seine Miene dabei kann höhnisch sein, kann ergeben sein. Selbst den Angetrunkenen mischt er die Getränke akkurat bis auf den Tropfen, denn nicht er wird es sein, dessen Formen zu Bruch gehen.
– Der C. I. A. hat eine computerisierte Kartei, danach wird jeder Bürger afrikanischer Abstammung -
– Das kann der Computer doch gar nicht.
– Da kennen Sie Hoover schlecht.
– Jedenfalls wird New York verlegt, einfach über den Hudson hinweg. Die Lager werden heißen wie hier: Harlem, Brownsville …
– Ich schreibe ein Buch über den C. I. A.
– Endlich mal was Neues. Immer diese Bücher über Kennedy.
– Über die Ermordung Kennedys durch den C. I. A.
– Schwedische Stahlaktien.
– Seit ich die Ermittlungen aufgenommen habe, werde ich auf Schritt und Tritt -
– Das wußten Sie nicht? Rufen Sie MUrray Hill 6-5517 an.
– Ich benutze kein Flugzeug mehr, kein Taxi. Wenn es eine Subway gäbe bis hin nach Dallas -
– Wer ist eigentlich unsere Gastgeberin? Seydlitz, Albert -?
– Was wir mit den Indianern angestellt haben, das haben im Grunde die Deutschen mit den Juden getan.
Die New York Times hat de Rosny einen Brief geschrieben. De Rosny gehört zu jenen Bankiers, die den Präsidenten Johnson um das Versprechen ersucht haben, er werde keine weiteren Truppen nach Viet Nam schicken, damit dem Dollar wieder ein Rückgrat eingezogen wird. Aber de Rosny ist nicht in der Stadt, er ist gestern zu der Konferenz mit den europäischen Zentralbankchefs nach Washington geflogen. Die wünschen das Verhältnis Dollar je Unze Gold geändert.
– Ich bin noch auf der Zeit von Zürich.
– Da müssen Sie aber müde sein, Mr. Kristlein.
– Was gibt man so einem Mann?
– Was ist das eigentlich, Bloody Mary?
– Tomatensaft, Wodka, Pfeffer -
– Pfeffer? Das ist sehr ungesund. Schadet den Nieren! Sie dürfen das keinesfalls weitertrinken!
– Eine geborene Blœrstadt, glaube ich. Verwandt mit den Karstadts.
– Nein, mit den Brenninkmeyers.
– Kommen Sie doch auch nach Vassar, Mr. Kristlein! We are dying to listen to you!
– Es ist die Nachtigall, und nicht die Lerche: das ist nicht von Shakespeare. Das ist von mir.
– Was gibt man so einem Mann?
Der andere, den die Cresspahl kannte, war Dr. Weiszand. Er hatte ihr noch sein Erstaunen ausgedrückt, ihr in diesem Abbild einer verrottenden Gesellschaft zu begegnen. Nachdem sie eine Weile am Rande des Kreises um ihn zugehört hatte, verzog sie sich aus der Wohnung, auf die Straße, nach Hause.
– Der Sozialismus ist unbesieglich.
– Meinen Sie das statistisch?
– Ich bin ja nicht dagegen. Ich finde es nur unschicklich.
– Das sind meine Studenten!
– Aber man kann doch nicht einfach mit einem Hut für den Viet Cong sammeln. Es ist so unordentlich.
– Man sollte es der Gastgeberin sagen, wer immer sie ist.
– Nehmen Sie das Beispiel der Č. S. S. R. Dort werden ein Innenminister und ein Generalstaatsanwalt ihres Amtes enthoben, weil sie nicht genug Druck hinter
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