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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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F. D. J.? So hatten die Schüler Sieboldt und Gollantz sich das ausgedacht. Strafverschärfend: Verächtlichmachung der Weltfriedensbewegung im Gespräch. Durch die Behauptung, in französischen Zeitungen sei Picassos Friedenstaube dargestellt als bewaffnet mit Hammer und Sichel. Die Engländer sprechen angeblich von ihr als »the dove that goes with a bang«, wollen Sie uns diese ungeheuerliche Beleidigung des Weltfriedenswillens übersetzen, die Taube kommt mitm Knall, mal etwas weniger salopp; wo haben Sie solche Dinger bloß zu hören bekommen, um Gottes willen?
     
    – Gesine, du leichtsinniges Kind!
    – Bißchen bange war mir. Aber Dicken Sieboldt sagte in gemütlichem Ton: Es liegt in der Luft; blickte in die Luft über dem Haupt der Schülerin Cresspahl, aber da wo der für diesen Tag gesperrte Balkon der Aula hing, bestanden mit Bewaffneten.
    – Wenn der dich verdächtigt hätte. Ein Gedanke, du hättest ihn verraten, und er haut dich mit in die Pfanne!
    – Dafür waren die Verhältnisse in jenem deutschen demokratischen Lande vorsorglich eingerichtet. Wenn Cresspahls Tochter ihrem Mitschüler Sieboldt eine Sendung der British Broadcasting erzählt, ist er verpflichtet sie anzuzeigen. Wenn Sieboldt sich erfreut gibt über das Wissenswerte aus dem Mund der Mitschülerin, ist sie verpflichtet ihn anzuzeigen. Denunziation war bei Sieboldts etwas, dafür hätte die Familie ihn ausgestoßen. War das. Cresspahl hätte seine Tochter keines Blickes, keines Wortes mehr gewürdigt, wenn sie belobigt worden wäre für Dingfestmachung eines Nachbarkindes. Kannst du aber ab.
    – Wenn man dich hört, ist es ganz leicht. Aber es hat jemand die beiden verraten
    – Gollantz galt öffentlich für verlobt mit einer Lisette von Probandt, einem Mädchen in seiner Abiturklasse. Die waren für ihren Jahrgang Das Paar, das sahen die Kinder aus der Neunten an … wie die Kinder aus der nachgewachsenen Neunten Pius und mich betrachteten. Wenn man ein Mädchen in Haft nimmt, es peinlich befragt –
    – So hatte Sieboldt seinem Gollantz etwas zu verzeihen.
    – Und Gollantz wurde vom Hohen Gericht ersucht, sich doch als verführt zu bekennen durch Sieboldt. Gollantz bestand auf seinem eigenen Kopf, damit er genau so viele Jahre bekam wie der Freund.
    – Diese vermaledeite Freiheitsstatue, siehst du, wie ihr der Arm sinkt? Die sperren sie noch mal für den Besucherverkehr, wegen Baufälligkeit!
    – Elementary, my dear Mary.
     
    Die Angeklagten wurden wiederholentlich beauftragt, sich bußfertiger zu geben. Denn wenn sie angebrüllt wurden, bedroht, beschimpft, gaben sie sich zufrieden. Als wären sie doch enttäuscht gewesen, hätte das gefehlt. Als hätten sie das erwartet. Und die Kinder in den blauen Hemden vor ihnen ahnten, was ihnen ausreichte als Gründe zur Freude, zu der schmalen Heiterkeit, die ihnen den Rücken steifte angesichts der fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit für Sabotage:
    Versuch der Erhaltung
    der reaktionären Schülerselbstverwaltung
    eines Überbleibsels
    des scheindemokratischen Erbes
    der weimarer Republik
    vermittels
    einer Erschleichung
    hoher
    und höchster
    Funktionen
    der Zentralen Schulgruppenleitung
    der Freien Deutschen Jugend;
    für Spionage:
    Erkundung
    der gefährdeten Flanke
    der Friedensbewegung
    der Republik;
    für Terror: denn sie hatten ja tatsächlich unternommen, in der Stadt Gneez und ihrer Oberschule eine andere Meinung zu verbreiten als das Innenministerium (das sie beharrlich das Wehrministerium nannten) sich erwartete; für Gruppenbildung (Sieboldt mit Gollantz). Da stellte ein Herr Kramritz sich hin und wetterte über »das erschlichene Abitur«; sie hatten sich die Zulassung zum Studium verschafft mit Arbeit in den Fächern der Prüfung. Da trat eine Bettina Selbich auf, in der Erinnerung die nächtlichen Besuche des F. D. J.-Amtsträgers Sieboldt, und stammelte; hätte ihr Opfer sprechen wollen, ihm wäre für gewiß über die Lippen gekommen: Der Kavalier genießt; und schweigt. Er schonte sie, und wenn ihm das schwer fiel, so war es doch wie er später von sich zu denken wünschte. Auch Manfras meldete sich zu den »Stellungnahmen«, die die junge Tradition der demokratischen Rechtsprechung erforderte; dessen Erbitterung, seine vor Wut zitternde Stimme, sie war den Angeklagten begreiflich; uns auch. Denn als die Schulgruppe F. D. J. ihren Protest gegen das mörderische Eindringen der U. S. A.-Truppen in das friedliche Korea abschicken wollte, hatten sie ihn

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