Jahrmarkt der Eitelkeit
Mrs. Osborne. Sie selbst wagte nie, zu fragen, wie es dem Kind gehe. Sie würde das Kind auch nie anrühren, obgleich es ihr Enkel und ihr Herzensliebling war, denn sie sei ja nicht an Kinder gewöhnt und könnte ihn töten. Und jedesmal, wenn Mr. Pestler einen Hausbesuch machte, empfing sie den Arzt mit so sarkastischer und verächtlicher Miene, daß der Doktor erklärte, daß nicht einmal Lady Thistlewood, die zu behandeln er die Ehre habe, sich großspuriger benehme als die alte Mrs. Sedley, von der er nie eine Bezahlung verlangte. Höchstwahrscheinlich war Emmy auch eifersüchtig – und welche Mutter wäre nicht eifersüchtig auf die, die ihre Kinder pflegen oder die auf den ersten Platz in ihrem Herzen Anspruch erheben wollen. Jedenfalls wurde sie stets unruhig, wenn sich jemand mit dem Kinde beschäftigte, und sie erlaubte weder Mrs. Clapp noch dem Dienstmädchen, es anzukleiden oder zu füttern, wie sie ihnen auch nicht gestattet hätte, das Miniaturbild ihres Gatten abzuwischen, das über ihrem Bettchen hing – demselben Bettchen, das das arme Mädchen mit Georges vertauscht hatte und zu dem sie jetzt für viele lange, stille, tränenreiche, aber glückliche Jahre zurückkehrte.
Dieses Zimmer barg Amelias ganzes Herz und alle ihre Schätze. Hier hütete sie ihren Knaben und wachte über ihm während der zahlreichen Kinderkrankheiten mit stets gleichbleibender leidenschaftlicher Liebe. Irgendwie erschien in ihm der ältere George wieder, nur besser und wie vom Himmel zurückgekehrt. In hundert Kleinigkeiten – Tonfall, Blicken und Bewegungen – war der Junge dem Vater so ähnlich, daß das Herz der Witwe erschauerte, wenn sie ihn an sich drückte, und oft fragte er dann nach dem Grund ihrer Tränen. Sie hatte keine Bedenken, ihm zu sagen, das komme, weil er seinem Vater so sehr ähnele; sie erzählte ihm ständig von diesem toten Vater und sprach zu dem unschuldigen und verwunderten Kind über ihre Liebe zu George häufiger, als sie je zu George selbst oder irgendeiner Vertrauten ihrer Jugend gesprochen hatte. Gegenüber ihren Eltern erwähnte sie nichts davon, da sie sich scheute, ihnen ihr Herz zu entdecken. Klein George verstand sie wahrscheinlich nicht besser, aber seinen Ohren vertraute sie rückhaltlos ihre geheimsten Gefühle an, nur seinen. Selbst die Freude dieser Frau war eine Art Schmerz oder wenigstens so zart, daß sie sich in Tränen ausdrückte. Ihre Gefühle waren so schwach und weich, daß man vielleicht in einem Buch gar nicht darüber sprechen sollte. Doktor Pestler (der jetzt ein bekannter Frauenarzt ist, einen teuren dunkelgrünen Wagen fährt, wahrscheinlich bald geadelt wird und ein Haus am Manchester Square bewohnt) erzählte mir, daß ihr Schmerz bei der Entwöhnung des Kindes ein Anblick gewesen sei, der einen Herodes hätte rühren können. Er war vor Jahren sehr weichherzig gewesen, und seine Frau hegte damals und noch lange nachher eine tödliche Eifersucht auf Mrs. Amelia.
Vielleicht war die Eifersucht der Doktorsfrau nicht ganz unbegründet; die meisten Frauen aus Amelias kleinem Bekanntenkreis teilten sie und waren erzürnt über die Begeisterung, mit der das andere Geschlecht sie betrachtete. Fast alle Männer, die ihr nahe kamen, liebten sie, obwohl sie kaum hätten begründen können, warum; sie war weder eine strahlende Erscheinung noch ausgesprochen geistreich oder klug und auch nicht besonders hübsch. Aber wo sie auch erschien, rührte und bezauberte sie stets jedes männliche Wesen, wie sie die Verachtung und den Zweifel ihrer eigenen Geschlechtsgenossinnen erregte. Ich glaube, ihr hauptsächlicher Reiz lag in ihrer Schwäche: eine Art süßer Unterwürfigkeit und Weichheit, die bei jedem Mann, mit dem sie zusammentraf, um Mitgefühl und Schutz zu bitten schien. Wir haben gesehen, wie im Regiment die Degen der jungen Offiziere aus der Scheide gesprungen waren, um für sie zu kämpfen, obwohl sie nur mit wenigen von Georges Kameraden gesprochen hatte. Ebenso war es auch in dem engen kleinen Mietshaus in Fulham und dem Kreise dort – sie gefiel allen. Wenn sie Mrs. Mango aus der großen Firma Mango, Plantain und Co., Crutches Friars, und Besitzerin der Ananastreibhäuser in Fulham, selbst gewesen wäre, zu deren déjeuners im Sommer Herzöge und Grafen kamen und die mit Lakaien in prachtvoller gelber Livree und ein paar Braunen durchs Kirchspiel fuhr, wie sie die königlichen Ställe in Kensington nicht schöner aufweisen konnten – wenn sie also Mrs. Mango selbst
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