Jake Djones - In der Arena des Todes: Roman (German Edition)
rasiermesserscharfen Schnäbeln ihre Finger.
Agata stieß einen verzückten Seufzer aus, und der Schleier vor ihrem Gesicht blähte sich ein Stück. Dann klatschte sie in die Hände.
Durch eine kleine Tür in der Seitenwand kam der Vogelpfleger angelaufen, ein stämmiger Mann mit plumpen Fingern, über dessen rundlichem Bauch sich eine blutverschmierte Lederschürze spannte. Er hatte einen Korb mit vergittertem Deckel unterm Arm und reichte ihn seiner Herrin.
Agata begutachtete den Inhalt: Ratten, Mäuse, kleine Schlangen und riesige Käfer wanden sich darin oder kletterten übereinander. Ohne Zögern griff Agata hinein, zog an dem dicken haarlosen Schwanz eine der Ratten heraus und hielt sie in den Käfig.
Mit einem einzigen Bissen riss der erste Vogel dem Nager den Kopf ab. Der zweite tat sich an den Eingeweiden gütlich, die nach und nach aus dem kopflosen Rumpf zu Boden fielen, wo der dritte sie gierig aufpickte.
»Meine armen Kleinen, ihr seid ja kurz vor dem Verhungern«, gurrte Agata. »Aber seid unbesorgt. Das Abendessen wartet schon.«
Sie zog den Schleier vom Gesicht und wandte sich dem Gefangenen im anderen Teil des Käfigs zu.
Als der Mann ihr Gesicht sah, zuckte er zusammen, als hätte er Medusa persönlich vor sich.
Auf den ersten Blick war Agata durchaus schön. Sie hatte ein stolzes Gesicht mit einer hohen Stirn, doch je genauer man hinsah, desto beunruhigender wurde der Anblick. Irgendetwas stimme nicht. Nase, Augen, Mund und Kinn waren wohlgeformt und gut proportioniert – trotzdem passten sie nicht recht zusammen. Ihr Gesicht sah aus, als wäre es aus Einzelteilen zusammengesetzt wie bei einem weiblichen Frankenstein-Geschöpf. Ihr Alter war undefinierbar. Wie ihr Bruder mochte sie vierzig oder sechzig sein, vielleicht auch noch älter. Die unnatürlich straff gespannte, faltenlose Haut war blass und durchschimmernd wie Alabaster. Darunter zeichneten sich dünne Venen ab. Agatas eines Auge war blau, das andere schiefergrau und leicht trüb. Am auffallendsten jedoch war das dichte Haar, trocken und rot wie Kupferdraht.
»Du weißt, weshalb du hier bist?«, fragte sie.
»Nein, Magistra«, erwiderte der Gefangene mit zitternder Stimme.
Die Tür flog auf. Leopardo kam herein und stellte sich neben seine Mutter.
Agata holte ein Bündel Schriftrollen aus den Falten ihres Umhangs hervor. »Dies sind die letzten Briefe, die du mir überbrachtest. Drei kaiserliche Mitteilungen aus Capri, bestimmt für den Senat in Rom, und zwei dazugehörige Antworten, bestimmt für Tiberius. Fünf Briefe zusammen.«
»Das ist richtig, Magistra. Wie üblich habe ich sie im Hafen von Surrentum abgefangen und ausgetauscht.«
»Und was ist mit den restlichen?«
»Das waren alle, Magistra. Mehr gab es nicht«, beteuerte der Soldat. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
Agata blickte ihn mit kalten Augen an und ließ sich von Leopardo ein weiteres Pergamentbündel reichen. Als er es sah, begann der Gefangene am ganzen Leib zu zittern.
»Mein Sohn hat diese hier« – sie deutete auf das Bündel in ihren Händen – »auf halbem Weg nach Rom abgefangen. Sie stammen von Tiberius persönlich. Hätten sie ihre Adressaten erreicht, wären all unsere Mühen umsonst gewesen.«
»I-ich weiß nicht, wie das passieren konnte«, stotterte der Soldat. »Der Hafen wurde rund um die Uhr von zehn meiner besten Leute bewacht.«
Die Vögel im anderen Teil des Käfigs wurden allmählich unruhig. Ihr Gekrächze wurde von Sekunde zu Sekunde schriller. In Erwartung des versprochenen Abendessens spähten sie durch die Gitterstäbe hinüber zu dem Gefangenen und schlugen aufgeregt mit den mächtigen Schwingen.
»Wir werden Geschichte schreiben, eine neue Geschichte«, gurrte Agata. »Du hast es deiner eigenen Inkompetenz zuzuschreiben, dass du sie nicht mehr erleben wirst.« Sie nickte Leopardo zu.
Ihr Sohn legte einen Hebel um, und das Trenngitter zwischen den beiden Käfigabteilen glitt rasselnd zur Seite.
Die Geier erhoben sich sofort in die Luft und stürzten sich auf den in wilder Panik aufschreienden Soldaten. Er zerrte und riss an seinen Ketten, aber es gab kein Entrinnen.
Agata öffnete verzückt den Mund, und Leopardo legte ihr von hinten freudig die Hände auf die Schultern. Das Geschrei der Vögel und das des Gefangenen vermischten sich zu einer dämonischen Kakofonie, ein einzelner Blutspritzer flog zwischen den Gitterstäben hindurch und landete auf Agatas kalkweißer Wange. Ein wohliger Schauer
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