Jake Djones - In der Arena des Todes: Roman (German Edition)
durchzuckte sie. Nach etwa einer Minute waren die Schreie des Mannes verstummt, nur noch das Krächzen der Geier war zu hören und das Geräusch zerreißenden Fleisches.
Es war vorbei, und das Entzücken wich aus Agatas Gesicht.
Leopardo küsste sie auf den Scheitel. »Sei nicht traurig, Mutter«, sagte er. »Das Schönste kommt erst noch.«
Obwohl er den Anblick von Blut, Knochen und Eingeweiden durchaus gewohnt war, musste der Vogelpfleger die Augen abwenden, als er jetzt den Käfig betrat.
Jake spürte eine Hand an der Schulter und wachte auf. Er hob den Kopf von dem Seil, das er als Kissen benutzt hatte, und schlug die Decke zurück.
Charlie beugte sich mit Mister Drake auf der Schulter über ihn. »Ich dachte, das könnte dich interessieren.« Er flüsterte, um Nathan und Lucius nicht zu wecken. Er konnte es erwarten, bis die beiden wieder zu streiten anfingen.
Jake setzte sich auf. Zu seiner Rechten sah er das italienische Festland mit einem schmalen Streifen Rosa darüber.
»Er sieht ein bisschen unheimlich aus in diesem Licht, finde ich«, sprach Charlie weiter und deutete auf eine kegelförmige Erhebung. »Das ist der Vesuv. Die Stadt an seinem Fuß ist das alte Pompeji.«
Nach und nach konnte Jake die Umrisse einer Stadtmauer erkennen, die sich vom Meer die Bergflanke hinauf erstreckte. Er kannte die Geschichte vom Untergang Pompejis, wusste aber nicht mehr genau, wann sich die Tragödie zugetragen hatte. Halb erwartete er, die Stadt in Ruinen liegen zu sehen, doch dann konnte er auch Straßen und Menschen ausmachen, die zu dieser frühen Stunde bereits ihren Erledigungen nachgingen.
»Den ahnungslosen Bürgern bleiben noch zweiundfünfzig Jahre, bis die Katastrophe über sie hereinbricht und der Vulkan alles vernichtet: das Forum, die Theater, die Stadien, Tempel und Paläste … Alles weg«, erklärte Charlie düster.
»Wie ist das genau passiert?«, fragte Jake. »Ich meine: Wie wird es passieren?«
»An einem Augusttag des Jahres 79 nach Christus, nach achthundert Jahren Tiefschlaf, wird der Vesuv regelrecht explodieren. Zuerst erhebt sich eine Aschewolke kilometerhoch in die Luft und verdunkelt tagelang die Sonne. Einige fliehen, aber die meisten bleiben. Dann folgt eine zweite Eruption, Asche regnet mit Gestein vermischt vom Himmel und türmt sich meterhoch in den Straßen. Wer das überlebt hat, kommt nicht mehr weit, denn auf den todbringenden schwarzen Regen folgt der pyroklastische Strom: Unmengen von Lava und giftigen Gasen, die mit mehreren Hundert Kilometern pro Stunde die Hänge des Vesuv hinab- und über die Stadt hinwegwalzen. Alles, womit sie in Berührung kommen, zerfällt in einer Stichflamme zu einem Häufchen Asche.« Charlie schnippte mit den Fingern, und Mister Drake fiel vor Schreck beinahe von seiner Schulter.
Jake blickte zurück zur Küste, sah die Krone der hohen Stadtmauer im ersten Sonnenlicht erstrahlen und dachte an das entsetzliche Schicksal, das die Bewohner ereilen würde. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihnen bis dahin immerhin noch mehr als ein halbes Jahrhundert blieb.
»Dort drüben« – Charlie deutete auf eine kleine Halbinsel – »ganz am Ende der Bucht von Neapel liegt Misenum. Die römische Flotte ist dort stationiert. Es hat eine Weile gedauert, bis sie richtig losgelegt haben, aber jetzt ist ihre Flotte die größte, die die Welt bisher gesehen hat. Ein beeindruckender Anblick.« Charlie zog sein Teleskop hervor und reichte es Jake.
Er zog es auseinander und richtete es auf die kleine Landzunge. Zunächst erkannte Jake nur vage geometrische Muster, die er nach und nach als Anlegeplätze und Dutzende von Galeeren identifizierte. Die vor Anker liegende Flotte sah aus, als wäre sie selbst eine kleine Stadt.
Da unterbrachen Lucius’ Schreie unsanft die morgendliche Stille. »Bellum parate!«, rief er im Schlaf. »Ferte milites!« Er lag auf dem Rücken und schlug immer wieder mit den Fäusten aufs Deck. Gegner um Gegner streckte er im Traum nieder, bis Nathan nach ein paar Minuten in einen seidenen Morgenrock gekleidet an Deck kam.
»Ich dachte, ich hätte heute Nacht schlecht geträumt«, krächzte er heiser und schob sich die Schlafmaske in die Stirn. »Aber es war kein Traum: Der Kerl ist immer noch da.« Nathan stieß Lucius mit dem Pantoffel in die Rippen. »Wach auf, Lucy. Sonst verschläfst du noch den Latrinendienst.«
»Um Himmels willen, Nathan«, fuhr Charlie ihn an, während Lucius verdutzt die Augen öffnete. »Er hat
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