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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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die Stufen achten, sonst würde er noch stürzen. Das hat er dann auch getan, er ist nicht gestürzt, ohne Zwischenfall sind sie auf die Straße gekommen, und seitdem hat Lina keine Eltern mehr.
    Kurze Zeit später ist eine neue Familie in das Zimmer der Nuriels eingewiesen worden, damals kam noch laufend Nachschub. Es wurde ein Problem, wohin mit Lina, für immer zu sich konnte sie keiner nehmen, und das nicht nur aus Platzgründen oder bösem Willen, es brauchte nur eine unverhoffte Kontrolle aufzutauchen, wie kommst du zu dem Kind? Alle haben wochenlang darauf gewartet, daß nach Lina recherchiert würde, irgend jemandem in irgendeiner Behörde konnte beim Durchsehen irgendwelcher Papiere auffallen, daß statt drei Nuriels nur zwei auf den Transport gegangen sind, aber nichts dergleichen ist geschehen. Schließlich haben ein paar Frauen aus dem Haus den kleinen Dachboden saubergewischt, das Bett ist nach oben geschafft worden und eine Kommode mit ihren Sachen, die ja noch vorhanden waren, Lina wohnt in der obersten Etage. Nur ein Ofen war nirgends aufzutreiben. In den kältesten Nächten, wenn auch zwei Decken nichts nützen, riskiert es Jakob, der nie eigene Kinder gehabt hat, und nimmt sie heimlich zu sich ins Bett. Es hat sich ganz einfach ergeben, daß sie ihm am meisten gehört, sie hat zwei Jahre Zeit gehabt, ihn um den Finger zu wickeln, die Zeit war reichlich.
    Heute ist keine kalte Nacht, schon gar nicht die kälteste, Lina wird alleine schlafen müssen, Herschel Schtamm hat den ganzen Tag entsetzlich geschwitzt. Jakob kommt zu ihr, jeden Abend kommt er zu ihr, Lina liegt mit geschlossenen Augen da. Jakob weiß genau, daß sie nicht schläft, und sie weiß genau, daß er es weiß, jeden Abend kommt ein anderer Spaß heraus. Er nimmt eine Tüte aus der Tasche, in der Tüte ist eine Mohrrübe, die legt er auf die Kommode neben das Bett, dann macht er den Spaß für heute. Er bläst die Tüte auf und läßt sie zwischen seinen Händen platzen, aber Lina lacht schon vorher, als sie die Augen noch geschlossen hält, irgend etwas muß ja gleich kommen. Es kommt also der Knall, Lina richtet sich auf, gibt ihm seinen Kuß, den er sich verdient hat, und behauptet, daß es ihr schon viel besser geht. Sie will morgen endlich aufstehen, so ein Keuchhusten kann nicht ewig dauern, doch das darf Jakob nicht alleine entscheiden. Er legt ihr die Hand prüfend auf die Stirn.
    »Habe ich noch Fieber?« fragt Lina.
    »Höchstens noch ein bißchen, wenn mein Thermometer richtig funktioniert.«
    Sie nimmt die Mohrrübe, fragt ihn, was das eigentlich ist, Fieber, und beginnt zu essen.
    »Das erkläre ich dir ein anderes Mal«, sagt Jakob. »War der Professor heute schon da?«
    Nein, er war noch nicht da, aber er hat gestern gesagt, daß es aufwärtsgeht, und Jakob soll sie nicht immer auf ein anderes Mal vertrösten, er muß ihr noch erklären, was Gasmasken sind, Seuchen, Luftballons, Standrecht, das andere hat sie vergessen, und jetzt ist er auch noch mit Fieber in der Kreide.
    Jakob läßt sie reden, sie macht schon einen ganz munteren Eindruck, er denkt womöglich mit ein wenig Wehmut an die drei Zigaretten, die ihn die Mohrrübe gekostet hat, die nächste muß er billiger kriegen. Am Ende läuft alles auf reine Konversation hinaus, Lina ist ein Meister der Konversation, es muß ihr angeboten sein.
    »Was macht die Arbeit?« fragt sie.
    »Alles bestens«, sagt Jakob, »danke für die Nachfrage.«
    »War bei euch heute auch so eine Hitze? Hier war es mächtig warm.«
    »Es ging.«
    »Was habt ihr denn heute getan? Bist du wieder auf der Lokomotive gefahren?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Neulich bist du doch bis Rudpol gefahren und wieder zurück, weißt du nicht mehr?«

    »Ach ja. Aber heute nicht, die Lokomotive ist schon seit ein paar Tagen kaputt.«
    »Was hat sie denn?«
    »Ein Rad ist ab, und es gibt kein neues.«
    »Schade. Wie geht es eigentlich Mischa? Er war schon so lange nicht mehr hier?«
    »Er hat viel zu tun. Aber gut, daß du mich erinnerst, ich soll dich von ihm grüßen.«
    »Danke«, sagt Lina. »Grüß ihn auch von mir.«
    »Wird besorgt.«
    Das könnte stundenlang so weitergehen, über zwanzig Mohrrüben, unwichtig, was sie plaudern, es wird geredet, bis die Tür aufgeht, bis Kirschbaum hereinkommt.
    Wenn ich mir nicht von Anfang an etwas anderes vorgenommen hätte, würde ich Kirschbaums Geschichte erzählen, vielleicht werde ich es irgendwann noch tun, die Versuchung ist groß. Obwohl wir uns nur

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