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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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die Träger entsteht, auf die Dauer keine Lösung.
    »Sie müssen weitermachen«, sagt Jakob.
    »Sie haben gut reden«, sagt Schmidt keuchend, angelehnt und sehr bleich.
    »Entweder Sie machen jetzt weiter, oder Sie können sich gleich hinlegen und sterben«, sagt Jakob.
    Dazu hat Rechtsanwalt Schmidt erst recht keine Lust, er greift wieder nach seiner Schaufel und füllt auf unsicheren Beinen den Eimer, der längst schon wieder wartet. Er stöhnt, es sieht nach einem verzweifelten Versuch aus, und man muß fürchten, daß er fehlschlägt. Die Schaufel stochert an der Oberfläche, dringt nicht so tief, wie sie müßte, wird daher halbgefüllt wieder aus dem Dreck gezogen, Mehrarbeit für Jakob.
    »Ich habe übrigens was von Ihrem Sir Winston gehört«, sagt Jakob, leise genug, daß der Bauer bei schärfsten Ohren nichts verstehen könnte.
    »Von Sir Winston?« sagt Schmidt, schwach zwar, doch hörbar interessiert.
    »Er ist erkältet.«
    »Etwas Ernstes?«
    »Nein, nein, nur Schnupfen und so. Er hat das halbe Interview über geniest.«
    »Ein ganzes Interview?«
    »Ein kurzes.«
    »Und was sagt er?« fragt Schmidt.
    Jakob gibt ihm zu verstehen, daß sich der Ort für einen reinen Schwatz schlecht eignet, die Posten drüben, vorerst kümmern sie sich noch um anderes. Aber in drei Stunden kommt einer nachsehen, mit Sicherheit, bis dahin muß die Grube leer sein.

    Bericht also nur dann, wenn er mit Arbeit getarnt werden kann.
    Schmidt muß das einsehen, der Griff um die Schaufel wird notgedrungen fester, die Tropfen auf der Stirn bleiben dieselben, was sagt Sir Winston? Jakob erzählt es ihm, das Kellergespräch zwischen Reporter und englischem Premier haftet noch im Gedächtnis, wenn auch nicht mehr ganz frisch.
    Die Lage an der Ostfront, ohne Städte zu nennen, auf alle Fälle verzweifelt für die Deutschen, das sind seine eigenen Worte, ein großer bunter Strauß von guten Aussichten. Und Sir Winston kann sich schon ein Urteil erlauben, finden Sie nicht, bei seinem Überblick. Natürlich gibt es hier und da noch Schwierigkeiten, ich frage Sie, in welchem Krieg geht alles glatt? Und es gibt auch Unterschiede zwischen Schmidt und Lina, nicht zuletzt, die wollen beachtet werden. Man sitzt nicht mit einem kleinen Mädchen im abendlichen Keller, aus Spaß sozusagen oder aus Liebe, man steht im Sonnenlicht, mit dem studierten Schmidt, jedes Wort ist abzuwägen, in drei Stunden muß die Grube leer von Dreck sein.

    Am Morgen dieses Tages, der für den Marsch auf die Kreisstadt Pry ausersehen ist, die Russen werden sie nicht ganz erreichen, ihr aber doch ein gutes Stück näher kommen, so will es Jakob, am Morgen dieses vielversprechenden Tages sieht Mischa auf dem Weg zur Arbeit eine aufgeregte kleine Gruppe stehen. Aus ihr wird in die Richtung gezeigt und in die, zwei reden hastig, die anderen hören bestürzt zu, Mischa will nicht vorbeigehen, ohne Näheres zu erfahren. Da fällt der Name einer Straße, der Franziskaner, Mischa packt den ersten besten am Arm, zieht ihn aus dem Durcheinander, er soll ihm um Himmels willen sagen, was mit der Franziskaner los ist.
    Das wird ihm schnell erzählt, ein Unglück hat sie heimgesucht, die Franziskaner wird in Dreierreihen aufgestellt.
    Sie gehen Haus für Haus durch, vorhin waren sie bei der Nummer zehn, in wenigen Stunden wird kein Mensch mehr dort wohnen, ins Lager oder sonst wohin.
    »Und die Russen sollen schon Tobolin genommen haben«, sagt der Mann.
    Mischa stürzt davon, das Schicksal der Franziskaner bewegt ihn nicht nur allgemein, denn die Franziskaner ist eine durch und durch besondere Straße, in ihr wohnt Rosa. Der Mann sagt, vorhin waren sie bis zur Nummer zehn, das heißt vor wenigen Minuten, um diese Zeit müßte Rosa normalerweise längst in der Fabrik sein. Mischa macht sich Vorwürfe, daß er sie nicht einfach gezwungen hat, jede Nacht bei ihm zu bleiben, vor allem die letzte. Er wird vor ihre Fabrik gehen, hereinlassen wird ihn der Torposten nicht, aber er kann in der Nähe stehenbleiben.
    Bis zum Feierabend, Mischa wird selber Posten sein, denn Rosa muß am Heimweg gehindert werden. Behüte Gott nur, daß man den ganzen Tag eine leere Fabrik bewacht, wenn Rosa pünktlich von zu Hause losgegangen ist, müßte sie dort sein, es bleibt keine andere Hoffnung. Mischa rennt, warum so eilig, weiß er selbst nicht, Rosas Feierabend liegt in weiter Ferne, er rennt.
    Vor ihrer Fabrik, Näherei aus grauen Backsteinen, sieht die Welt ganz gewöhnlich aus, Mischa steht auf

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