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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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fällt Mischa etwas Unangenehmes ein; keine Arbeit bedeutet kein Mittag heute, er fragt Rosa, ob sie zufällig ihre Lebensmittelmarken bei sich hat. Die liegen leider zu Hause, er denkt, auch das noch. Ob sie die schnell holen soll, aber das soll sie nicht, er gibt ihr den Schlüssel, er wird gleich nachkommen, er geht mit den eigenen.
    Im Laden ist Mischa der einzige Kunde, sonst, nach Feierabend geht es nie unter einer halben Stunde Warten ab.
    »Um diese Zeit?« fragt Rosenek, der wohlgenährte. Seine Waage steht im Verdacht der Ungenauigkeit nach stets derselben Richtung, nur sie kann ihm zu dem Bäuchlein verholfen haben. Er versucht zwar, das kleine Ungeheuer mit viel zu weitem Kittel zu verbergen, aber Kittel und Rosenek werden durchschaut, für die Hängebacken reicht kein noch so großer Kittel.
    »Man hat heute frei«, sagt Mischa.
    »Frei? Was heißt das?«
    »Frei.«
    Mischa legt die Lebensmittelmarken vor Rosenek auf den Ladentisch, alle.
    »Wir haben erst Dienstag«, sagt Rosenek verwundert, gibt zu bedenken.
    »Trotzdem.«
    »Du mußt ja wissen.«
    Rosenek greift aus einer mehligen Schublade hinter sich ein rundes Brot, das gar nicht nach Brot riecht wie früher, legt es auf den Tisch, zerschneidet es ächzend mit dem Sägemesser, dann auf die berühmte Waage, die verlogenen Gewichte wie die Orgelpfeifen.
    »Wiegen Sie bitte gut«, sagt Mischa.
    »Was heißt das? Ich wiege immer gut.«
    Mischa wird sich nicht auf Wortklaubereien einlassen, die doch zu nichts führen, er sagt: »Wiegen Sie besonders gut.
    Ich habe Besuch.«
    »Besuch? Was heißt das?«
    »Besuch.«
    Rosenek entdeckt sein Herz, er gibt Mischa die andere Hälfte von dem Brot, die angebliche, ohne sie auf die Waage zu legen.
    Zwei Hosentaschen Kartoffeln kommen hinzu, denn Mischa hat nichts bei sich, eine Tüte Erbsenmehl, Wurst, mehr der Erscheinung als dem Wesen nach, und ein Päckchen Malzkaffee.
    »Auf den Marken steht auch was von Fett«, sagt Mischa.
    »So, steht! Steht da auch, woher ich es nehmen soll?«
    »Herr Rosenek«, sagt Mischa.
    Rosenek sieht ihn an wie vor der schwersten Entscheidung seines Lebens, du bringst mich noch um, Junge, Rosenek fragt:
    »Brauchst du den Kaffee?«

    »Nicht so sehr.«
    Rosenek verharrt noch ein wenig in seiner unglücklichen Pose, endlich nimmt er das Päckchen Kaffee vom Tisch, begibt sich in ein Zimmer, das an den Ladenraum grenzt. Als er zurückkommt, trägt er ein Stück Pergamentpapier vor sich her, auf den ersten Blick sieht es aus wie nur ein Stück zusammengefaltetes Pergamentpapier, aber dann sieht man, etwas ist darin eingewickelt. Fett, Rosenek hat es sich vom eigenen Bauch abgeschnitten, nach seinem Gesicht zu urteilen.
    »Weil du es bist«, sagt Rosenek. »Aber erzähl es um Himmels willen keinem.«
    »Wie werde ich«, sagt Mischa.
    Mischa kommt reich beladen nach oben, Rosa bestaunt das Mitgebrachte, sie hat das Fenster weit geöffnet.
    »Sonst denkt die Sonne, es ist niemand zu Hause und geht wieder, sagt Mutter«, sagt sie.
    Mischa verstaut Roseneks Geschenke im Schrank, säubert die Hosentaschen von Kartoffelerde. Rosa ruft ihn zum Fenster, ihre Stimme gefällt ihm nicht. Er beugt sich neben ihr hinaus, ein grauer Zug nähert sich, noch klein und ohne Einzelheiten.
    Man hört vorläufig nur das Bellen der Hunde, hin und wieder und ganz überflüssig, denn keiner tanzt aus der Reihe.
    »Welche Straße heute?« fragt Rosa.
    »Ich weiß nicht.«
    Er zieht sie weg vom Fenster und schließt es, aber er kann nicht verhindern, daß sie hinter der Scheibe stehenbleibt und auf den Vorbeimarsch wartet. Rosa sagt: »Laß mich.
    Vielleicht sind Bekannte darunter.«
    »Hast du Hunger?« fragt er. »Wollen wir uns was machen?«

    »Jetzt nicht.«
    Er spart sich weitere Angebote. Er weiß, daß sie auf alles, was er ihr jetzt vorschlagen könnte, antworten wird: »Jetzt nicht.«
    Nur Gewalt kann sie vom Fenster trennen, eigentlich albern, denn sie ahnt nicht, wen sie in dem Zug zu sehen bekommt, aber sie bildet sich ein, bei solchen Begebenheiten dürfe sie den Kopf nicht in den Sand stecken. Eine Art Spielregel für Rosa, so ist sie. Am einfachsten wäre, man packt sie, wirft sie aufs Bett und fängt an, sie abzuküssen, als wäre es plötzlich über einen gekommen. Mischa tut schon den ersten Schritt in diese Richtung, beim zweiten verläßt ihn der Mut, denn Rosa kennt ihn zu genau, sie würde die Lüge sofort durchschauen. Man muß sie stehenlassen bis zu dem entsetzlichen Anblick, der

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