Jakob der Reiche (German Edition)
Augen. Sie kannten sich lange genug, und Peutinger ahnte längst, dass noch eine ganz andere Last den großen Kaufherrn bedrückte.
»Wenn der Franzosenkönig und der deutsche Kaiser mit ihren großen Heeren in der Gegend von Verona und Trient herumziehen und wenn dann auch noch die Päpstlichen hinzustoßen, dann wird aus Weinbergen und Obstgärten, aus Bauernhöfen und all den kleinen Städten eine verbrannte, ausgeraubte Hölle.«
»Was willst du dagegen tun?«
»Ich muss hinein«, sagte Jakob Fugger entschlossen. »Mitten hinein in diesen Aufmarsch des Bösen und des Mordens.«
»Um wen zu retten? Den Kaiser? Die Päpstlichen? Venedig? Oder dich selbst?«
»Nein«, sagte Jakob Fugger. »Vielleicht kann ich für alle etwas tun, ebenso wie für mich selbst. Aber in erster Linie geht es mir um ihr Leben und ihre Sicherheit …«
»Caterina Cornaro!«
Es war, als hätte unvermittelt ein heller Blitz göttlicher Erkenntnis den Doktor Peutinger getroffen. »Du willst sie doch nicht etwa fragen … die so reich von der Republik abgefundene Königin der Zuckerinsel …«
Er zögerte einen Augenblick und rieb wie zufällig Daumen und Zeigefinger aneinander, dann sagte er: »Da will ich mit! Ich kenne Bassano und die beiden Burgen von Asolo noch aus meiner Studienzeit.«
Die Burg von Asolo
Jakob wusste, dass er Augsburg eigentlich nicht verlassen durfte. Seit Ulrich nicht mehr im Kontor erschien und im Süden des Kontinents feindliche Heere herumzogen, seit Bauernaufstände das deutsche Land in Unruhe versetzten und überall Hexen gejagt, Raubritter gefürchtet wurden und ständig neue Gräuelmärchen von Ungeheuern in den wilden Meeren und Menschenfressern in der Neuen Welt umhergeisterten, war auch der Handel unsicherer geworden.
Jakob beschloss, diesmal nur mit kleiner Begleitung zu reisen. Er suchte sich seine Leibwache unter den Männern aus, die in den Lagerhäusern der Gesellschaft und als Schmiede, Zimmerleute oder Pferdeknechte arbeiteten. Die meisten von ihnen waren treue, waffengeübte Burschen, die bereits bei seinen Ausflügen in die Grafschaften und zu den Messen dabei gewesen waren.
»Wir nehmen diesmal keine Geldkisten und kein großes Gepäck mit!«, erklärte er ihnen. »Jeder von euch bekommt eine halb gefüllte Geldkatze mit Goldmünzen, die er unter der Kleidung flach um den Leib schnürt. Wir nehmen fünf Arkebusen mit, aber sonst nur das, was ein Mann am Sattel tragen kann. Wenn wir versprengt werden, treffen wir in Bassano am Monte Grappa zusammen. Das Gebiet gehört bereits zur Terraferma von Venetien, deswegen wird sich jeder von uns mit Kleidungsstücken ausrüsten, wie sie dort üblich sind. Aufbruch ist morgen früh bei Sonnenaufgang – aber nicht hier von Augsburg aus, sondern am Herrensitz in Schmiechen.«
Jakob wartete, bis sich alle wieder verlaufen hatten, dann regelte er noch einige Dinge im Kontor und verließ am Nachmittag des 2. Juni 1509 mit drei Begleitern die Stadt durch das Rote Tor in Richtung Landsberg.
Schon bald erwies sich, dass Conrad Peutinger als Reisebegleiter ein Gewinn war. Immer dann, wenn es die Straße erlaubte, ließ Jakob sich mehr aus der Zeit erzählen, die Peutinger in Italien zugebracht hatte. Ihm war, als hätte er, ohne es zu ahnen, jahrzehntelang ein Fass mit feinstem Honig in seiner Nähe gehabt, das nur darauf wartete, genossen zu werden.
»Da sind wir nun mehr als hundert Mal bei dir oder mir zusammengekommen, und ich habe nie von diesem Schatz deines Wissens gekostet«, sagte Jakob, als sie Mittenwald hinter sich hatten.
»Ich habe dir nie etwas verheimlicht«, gab Conrad zurück, »aber zumeist wolltest du nur über Metall und Handel, Einfuhr und Zölle in Tirol, Ungarn oder den Niederlanden reden und nicht über den Landstrich, der mehr durchziehende Krieger, Handel und Völker gesehen hat als irgendein anderer.«
Sie übernachteten in Innsbruck, kamen am nächsten Tag gut über den Brenner und erreichten bei Einbruch der Dunkelheit Sterzing. Am dritten Tag ging es an der Eisackschlucht abwärts in Richtung Brixen. Obwohl er eigentlich keine Zeit verlieren wollte, entschied sich Jakob, im Bischofssitz von Brixen zu erkunden, ob hier bereits Forderungen an ihn vorbereitet wurden.
Sie trafen bereits nachmittags in der Hofburg ein. Der viereckige Bau mit dem großen Innenhof lag auf einer kleinen Anhöhe südöstlich des Domplatzes von Brixen. Bisher war noch kein Nachfolger für Melchior von Meckau ernannt worden. Dennoch tummelte
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