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James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

Titel: James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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Spiel zu beobachten.
    Sie zeigten unterschiedliche Zeiten an. Kronsteens zeigte zwanzig Minuten vor eins. Das lange rote Pendel, das tickend die Sekunden zählte, schwang abgehackt über die untere Hälfte des Ziffernblatts, während die gegnerische Uhr still und ihr Pendel vollkommen reglos war. Doch Macharows Uhr zeigte fünf Minuten vor eins an. Er hatte in der Mittelphase des Spiels Zeit verschwendet, und nun blieben ihm nur noch fünf Minuten. Er hatte arge Zeitprobleme, und sofern Kronsteen keinen fatalen Fehler beging, was er für ausgeschlossen hielt, war er geschlagen.
    Kronsteen saß reglos und aufrecht da wie ein bösartiger, undurchschaubarer Papagei. Seine Ellbogen waren auf den Tisch gestützt und sein großer Kopf ruhte zwischen seinen geballten Fäusten, die sich in seine Wangen drückten und seine zusammengepressten Lippen zu einem stolzen und verachtenden Schmollen verschoben. Unter der breiten, vorgewölbten Stirn schauten die recht schräg stehenden schwarzen Augen mit tödlicher Ruhe auf das Schachbrett hinunter. Doch hinter der Maske pochte das Blut im Dynamo seines Gehirns, und eine dicke wurmartige Ader in seiner rechten Schläfe pulsierte mit über neunzig Schlägen. Er hatte innerhalb der letzten zwei Stunden und zehn Minuten fast ein halbes Kilo ausgeschwitzt, und das Schreckgespenst eines falschen Zugs hatte immer noch eine Hand um seine Kehle gelegt. Doch für Macharow und die Zuschauer war er nach wie vor der »Zauberer aus Eis«, dessen Art zu spielen mit einem Mann verglichen worden war, der einen Fisch verspeiste. Zuerst zog er die Haut ab, dann sammelte er die Gräten heraus, dann aß er den Fisch. Kronsteen war seit zwei Jahren Schachmeister von Moskau, und wenn er nun zum dritten und letzten Mal gewann, würde er als Herausforderer an der Großen Meisterschaft teilnehmen können.
    In der Stille rund um den mit Seilen abgesperrten Spieltisch ertönte kein einziges Geräusch, abgesehen vom lauten Ticken von Kronsteens Uhr. Die beiden Schiedsrichter saßen reglos auf ihren erhöhten Stühlen. Sie wussten ebenso wie Macharow, dass das Spiel bereits entschieden war. Kronsteen hatte die Meraner Variante des Abgelehnten Damengambits mit einer brillanten unerwarteten Wendung versehen. Macharow hatte bis zum achtundzwanzigsten Zug mit ihm Schritt gehalten. Bei diesem Zug hatte er Zeit verloren. Vielleicht hatte er dabei einen Fehler gemacht, und vielleicht je einen weiteren beim einunddreißigsten und dreiunddreißigsten Zug. Wer konnte das schon sagen? Ganz Russland würde in den kommenden Wochen über dieses Spiel diskutieren.
    Aus den überfüllten Zuschauerrängen ertönte ein Seufzen. Kronsteen hatte langsam seine rechte Hand von seiner Wange genommen und sie über das Schachbrett ausgestreckt. Sein Daumen und sein Zeigefinger hatten sich wie die Scheren einer Krabbe geöffnet und waren dann nach unten gewandert. Die Hand, in der sich nun eine Spielfigur befand, bewegte sich nach oben, zur Seite und wieder nach unten. Dann kehrte sie langsam wieder zu dem Gesicht zurück. Die Zuschauer wisperten aufgeregt, als sie an der riesigen Anzeigetafel den einundvierzigsten Zug sahen. R-Kt8. Das musste der Todesstoß sein!
    Kronsteen streckte ganz bewusst die Hand aus und drückte den Hebel an seiner Uhr herunter. Das rote Pendel erstarrte. Seine Uhr zeigte Viertel vor eins an. Im selben Augenblick geriet Macharows Pendel in Bewegung und begann sein lautes unerbittliches Ticken.
    Kronsteen lehnte sich zurück. Er legte seine Hände flach auf den Tisch und blickte kalt in das glänzende, nach vorn geneigte Gesicht des Mannes, dessen Inneres sich vor Qualen winden musste wie ein aufgespießter Aal. Kronsteen wusste, dass es so war, denn auch er hatte im Laufe seiner Karriere schon Niederlagen erlitten. Macharow, der georgische Meister. Tja, morgen könnte Genosse Macharow nach Georgien zurückkehren und dort bleiben. Zumindest in diesem Jahr würde er mit seiner Familie noch nicht nach Moskau ziehen.
    Ein Mann in Zivil schlüpfte unter den Absperrseilen hindurch und flüsterte einem der Schiedsrichter etwas zu. Er reichte ihm einen weißen Umschlag. Der Schiedsrichter schüttelte den Kopf und deutete auf Macharows Uhr, die nun drei Minuten vor eins anzeigte. Der Mann in Zivil flüsterte einen kurzen Satz, woraufhin der Schiedsrichter verdrießlich den Kopf neigte. Er ließ die Handglocke ertönen.
    »Es gibt eine dringende persönliche Botschaft für Genosse Kronsteen«, verkündete er über das

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