James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
bahnte. Würde es ihm dort gefallen? Würde es sich dort einnisten? Wie schliefen Hundertfüßer? Zusammengerollt oder der Länge nach ausgestreckt? Die winzigen Tausendfüßer, die er aus seiner Kindheit kannte und die irgendwie immer ihren Weg durch den Abfluss in die leere Badewanne gefunden hatten, hatten sich immer zusammengerollt, wenn man sie berührt hatte. Nun war er dort angekommen, wo sein Kopf auf dem Kissen ruhte.
Würde er auf dem Kissen weiterkrabbeln oder in dem warmen Wald aus Haaren bleiben? Der Hundertfüßer blieb stehen. Weg! WEG!, schienen Bonds Nerven zu schreien.
Der Hundertfüßer regte sich wieder. Und krabbelte langsam von seinem Kopf auf das Kissen.
Bond wartete eine Sekunde. Nun konnte er die Reihen winziger Beinchen hören, die leise über den Baumwollstoff liefen. Es war ein fast unhörbares Kratzgeräusch, wie von Fingernägeln.
Bonds Körper katapultierte wie ein Klappmesser aus dem Bett und landete mit einem lauten Rums auf dem Boden.
Sofort war Bond auf den Beinen, rannte zur Tür und schaltete das Licht an. Dabei zitterte er unkontrolliert. Mit wackligen Knien kehrte er zum Bett zurück. Da war das Biest und krabbelte gerade unter das Kissen und damit außer Sicht. Bonds erster Impuls bestand darin, das Kissen auf den Boden zu werfen. Aber er hielt sich zurück und wartete, bis sich seine Nerven ein wenig beruhigt hatten. Dann hob er das Kissen ganz vorsichtig an einer Ecke an und ging in die Mitte des Zimmers, wo er es fallen ließ. Der Hundertfüßer krabbelte unter dem Kissen hervor und lief über die Kokosfasermatten. Doch das interessierte Bond jetzt nicht mehr. Er sah sich nach etwas um, womit er das Tier töten konnte. Langsam holte er sich einen Schuh und kam zurück. Die Gefahr war vorbei. Sein Verstand fing nun an, sich zu fragen, wie der Hundertfüßer in sein Bett gekommen war. Er hob den Schuh und ließ ihn bedächtig, fast beiläufig, zu Boden sinken. Er hörte das Knacken der harten Rückenplatten. Bond hob den Schuh erneut.
Der Hundertfüßer zuckte in seinem Todeskampf – zwanzig Zentimeter graubrauner glänzender Tod. Bond schlug noch einmal mit dem Schuh darauf. Das Tier platzte auf, und eine gelbliche Masse quoll hervor.
Bond ließ den Schuh fallen, rannte ins Badezimmer und übergab sich.
EINE NÄCHTLICHE FAHRT
»Übrigens, Quarrel«, sagte Bond, während er einem Bus mit der Aufschrift BROWN BOMBER die Vorfahrt nahm. Der Bus zog an ihm vorbei und hupte wild, um das Ego des Fahrers wiederherzustellen. »Was wissen Sie eigentlich über Hundertfüßer?«
»Hundertfüßer, Cap’n?« Quarrel warf ihm einen Seitenblick zu, um herauszufinden, worauf Bond mit dieser Frage abzielte. Aber Bonds Gesichtsausdruck verriet nichts. »Tja, wir haben hier auf Jamaika ein paar ziemlich üble. Zehn, fünfzehn, sogar zwanzig Zentimeter lang und die können Menschen sehr gefährlich werden. Sie leben hauptsächlich in den alten Häusern in Kingston, weil sie das verrottete Holz und die Feuchtigkeit lieben. Und sie sind hauptsächlich nachts unterwegs. Warum fragen Sie, Cap’n? Haben Sie einen gesehen?«
Bond wich der Frage aus. Er hatte Quarrel auch nichts von dem Obst erzählt. Quarrel war ein harter Kerl, aber es gab keinen Grund, ihn unnötig zu beunruhigen. »Würde man so einen beispielsweise auch in einem modernen Haus finden? In einem Schuh, einem Schrank oder im Bett?«
»Auf keinen Fall«, erwiderte Quarrel mit Bestimmtheit. »Es sei denn, jemand hat ihn dort ausgesetzt. Diese Tiere lieben Löcher und Ritzen. Saubere Zimmer mögen sie gar nicht. Es sind schmutzige Insekten. Vielleicht findet man sie noch draußen unter Baumstämmen und Steinen. Aber niemals an hellen Orten.«
»Ich verstehe.« Bond wechselte das Thema. »Übrigens, sind die beiden Männer gut mit dem Sunbeam losgekommen?«
»Sehr gut, Cap’n. Die beiden haben sich ziemlich über den Job gefreut. Und sie sehen uns wirklich ziemlich ähnlich, Cap’n.« Quarrel schmunzelte. Er warf Bond einen Blick zu und sagte zögerlich: »Ich befürchte nur, dass sie keine besonders guten Bürger waren, Cap’n. Ich konnte nicht besonders wählerisch sein. Der Kerl, der mich darstellt, ist ein Bettler, Cap’n. Und was Sie angeht, Cap’n, für Sie habe ich mir einen weißen Nichtsnutz von Betsy ausgeliehen.«
»Wer ist Betsy?«
»Ihr gehört das mieseste Bordell der Stadt, Cap’n.« Quarrel spuckte nachdrücklich aus dem Fenster. »Dieser Weiße macht bei ihr die Buchhaltung.«
Bond lachte.
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