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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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alles mit ihm machen, ihn mitnehmen, irgendwo absetzen, wie eine Puppe behandeln. Am nächsten Tag würde er alles vergessen haben.«
    Sie machte eine Pause, holte tief Atem und öffnete ihr Notizbuch.
    »Da ist noch etwas«, sagte sie, während sie schnell die Seiten umblätterte. »Ich stieß auf einen kleinen Vers über die Symptome einer Belladonna-Vergiftung und habe ihn aufgeschrieben. Er ist höchst aufschlussreich.«
    Sie gab mir das Notizbuch, und ich las laut vor:
    »Verrückt wie ein Hutmacher, abgenagt wie ein Knochen, rot wie eine Rübe und blind wie ein Stein«.
    »Trockener Mund und Gesichtsrötung«, sagte ich. »Reaktionen des Parasympathikus.«
    »Ja! Als ich das las, erinnerte ich mich an den Tag, als Jamey alle in der Gruppe aufregte. Ich habe auch gesehen, wie er verschiedentlich total ausflippte. Alex, jedes Mal hatte er ein hochrotes Gesicht! Rot wie eine Rübe! Er atmete heftig! Ich glaube, ich habe das erwähnt.«
    »Das haben Sie.« Auch Sarita Flowers hatte darauf hingewiesen; ebenfalls Dwight Cadmus, als er von der Nacht erzählte, in der Jamey die Bücher seines Onkels in Fetzen gerissen hatte. Ich erinnerte mich genau an die verwendeten Ausdrücke: rot, aufgedunsen und kurzatmig.
    Ich sah auf die Bücher, die Jennifer gesammelt hatte, und fragte: »Ist irgendetwas über Wechselwirkungen von Drogen dabei?«
    Sie zog einen dicken roten Band heraus und reichte ihn mir.
    Ich schlug das Kapitel über Medikamente gegen Parkinson auf und überflog es. In der Mitte des Abschnittes, der Kontraindikationen aufzählte, stand in einem schwarz umrahmten Rechteck eine Warnung für Ärzte: Die Wirkung von Anticholinergika wird durch Thorazin verstärkt.
    Eine Behandlung mit den meisten modernen Beruhigungsmitteln konnte böse, wenn nicht sogar schwerwiegende Folgen für Parkinson-Patienten nach sich ziehen und ebenso für andere, denen man Atropin oder ein atropinhaltiges Medikament gegeben hatte: Ihr Nervensystem geriet total durcheinander, sie delirierten und schienen verrückt zu sein. Scheinbare Senilität.
    Jetzt war der Knoten geplatzt, und ich konnte mich erinnern: Die Zeitschrift, die ich in der ersten Nacht in der Klinik gelesen hatte - der Canyon Oak Quarterly -, hatte einen Artikel über anticholinergische Syndrome im Alter und ihre Fehldiagnose als Senilität bei medikamentös verursachter Psychose enthalten. Wenn man Jamey wirklich mit Belladonna-Präparaten vergiftet hatte, mussten die von Mainwaring im Namen der Wissenschaft verabreichten Medikamente ihn in eine von Menschen bereitete Hölle versetzt haben. Immer deutlicher zeichnete sich das Bild vom bösen Arzt ab.
    Ich legte das Buch hin und versuchte, ruhig zu bleiben.
    »Das passt genau, nicht wahr?«, fragte Jennifer.
    »Es passt«, antwortete ich, »aber man braucht eine Brugmansia -Pflanzung, um so etwas durchzuführen. Wie wollen Sie an so etwas herankommen?«
    »Durch jemanden, der sich im Dschungel aufgehalten hat«, sagte sie, »bevor sie ihn mit Bulldozern umpflügten, einen Botaniker oder Forscher.«
    Ich nahm die Stanford-Monografie auf und überflog sie. Am Ende des Textes waren verschiedene Fotografien abgebildet. Eine davon fesselte mich besonders.
    Sie enthielt eine Steinplastik, einen Fetisch, den man bei Bestattungsritualen unter Drogeneinfluss verwandte. Ich sah sie mir näher an: eine hockende Kröte mit schlitzäugigen, menschlichen Gesichtszügen, auf ihrem grob gehauenen Kopf ein Helm aus Federn. Grausam, dennoch kraftvoll.
    Ich hatte so etwas vor kurzem bereits gesehen.
    Mit einem schnellen Blick auf den Einband las ich die Namen der Autoren: Andrew J. McAllister, Ronald D. Levine, Heather J. Palmer.
    Heather J. Palmer. Der Name aus den Presseausschnitten. Eine Juni-Hochzeit in Palo Alto. Die Brautmutter - ein Mitglied des amerikanischen Frauenvereins. Ihr letzter Vater, ein Diplomat, war in Kolumbien, Brasilien und Panama eingesetzt, wo die Braut geboren wurde.
    Die zukünftige Mrs. Dwight Cadmus hatte also doch an einer Expedition teilgenommen.

25
    »Die Tante!«, rief Milo aus. »Das ist ein vertrackter Fall, streut wie ein Tumor; überall, wo man hinsieht, eine neue Geschwulst.«
    Er wärmte sich die Hände an seinem Kaffeebecher, biss in sein Teilchen und las den McAllister Monograph.
    Wind und Regen hatten am späten Nachmittag begonnen und waren wegen eines tropischen Sturms, der ins Landesinnere gelangte, immer heftiger geworden. Der letzte Sturm dieser Stärke hatte die Canyons in tobende Kessel

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