Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
einer Viertelstunde wieder mit einem Zettel in der Hand.
»Sie kennen ihn: Professor Doktor Werner Kaltenblud, Chef der Abteilung für chemische Waffen der Deutschen Wehrmacht, Giftgas-Experte. Sollte in Nürnberg vor Gericht gestellt werden, verschwand aber ohne jede Spur. Das wird wohl seine Richtigkeit haben, jedenfalls dann, wenn die Army Black Jacks Forderungen nachgekommen ist.«
»Darauf wird er bestanden haben.«
»Klar. Also ist der unliebsame Zeuge tot. Der Archivar, mit dem ich sprach, sagte, dass er immer noch zu den dicken Fischen gerechnet wird, nach denen man weiter fahndet. Der Mann wollte unbedingt von mir wissen, weshalb ich anrufe, aber ich habe gemauert und ihn mit vagen Versprechungen auf später vertröstet. Wenn wir je in dieser Sache weiterkommen, kann ich sie ja sogar halten.«
Milo begann, im Raum auf und ab zu gehen.
»Ein Kraftwerk, das über Tonnen von giftigem Gas errichtet wird!«, sagte ich. »Da hast du dein Motiv.«
»Allerdings. Fünfundsiebzig Millionen Dollar wert. Wie der Junge wohl an das Tagebuch geraten ist?«
»Vielleicht durch puren Zufall. Er verschlang jede Menge Bücher und wühlte gerne in alten Bänden herum. In der Nacht, in der sie ihn nach Canyon Oaks brachten, verwüstete er die Bibliothek seines Onkels. Möglicherweise hatte er dort früher etwas entdeckt, das er unbedingt wiederfinden wollte.«
»Das heißt, das Tagebuch war vierzig Jahre lang unter Erstausgaben und sonstigen wertvollen Büchern versteckt?«
»Möglich wäre es. Nach Peters Tod war Dwight Black Jacks Haupterbe. Er bekam die Bibliothek seines Vaters, interessierte sich aber nicht weiter dafür und sah sich die Bücher nie an. Er machte auf mich keinen besonders bibliophilen Eindruck. Wenn er oder Heather das Tagebuch gefunden hätte, wäre es längst vernichtet worden. Es blieb unversehrt, weil niemand etwas von seiner Existenz wusste. Bis zu dem Tag, an dem Jamey es fand und begriff, welchen Zündstoff es enthält. Chancellor hatte sein Interesse für Wirtschaft und Finanzen geweckt, hatte ihn sogar dazu gebracht, sich mit Börsenkursen zu befassen. So wusste er bestimmt, wie stark der Beverly Hills Trust in Bitter-Canyon-Aktien investiert hatte. Er ging zu Chancellor und sagte ihm freiheraus, dass er nichts als nutzloses Papier im Wert von zwanzig Millionen Dollar gekauft hatte, das er aber nicht loswerden konnte, ohne unerwünschtes Aufsehen zu erregen.«
Milo war stehen geblieben, hatte eine Handfläche auf die Tischplatte gestützt, rieb sich mit der anderen die Augen und hörte mir gespannt zu.
»Genau das Erpressungs-Beseitigungs-Szenario, das du schon entworfen hattest«, sagte er leise, »nur dass es sich um ein paar Nullen mehr handelt. Chancellor geht zu Onkel Dwight und erzählt ihm, was er aus dem Tagebuch weiß. Vielleicht hat der Onkel von dem Gift schon gewusst, vielleicht auch nicht. Wie auch immer, Chancellor will auf jeden Fall seine Aktien loswerden und verlangt von Dwight, sie zurückzukaufen. Onkelchen jedoch weigert sich. Daraufhin droht ihm Chancellor, mit der Sache an die Öffentlichkeit zu gehen. Daraufhin kommen sie zu einer Einigung. Dwight verspricht, die Aktien zurückzunehmen, freilich nur sehr langsam, damit es nicht auf dem Markt publik wird. Es kann auch sein, dass Chancellor zusätzlich noch eine bestimmte Summe pro Aktie wegen Gewinneinbußen verlangt.«
»Oder eine bestimmte Entschädigungssumme.«
»Genau.« Milo überlegte eine Weile, dann sagte er:
»Dein Quasselfreund hat dir doch erzählt, dass kleine Mengen der Aktien bereits verkauft worden sind, vielleicht hat Onkel Dwight genau wie Chancellor welche abfließen lassen, aber natürlich nicht viele. Er geht so ein doppeltes Risiko ein: Er baut ein Kraftwerk auf all dem Gift und muss auch noch selbst die Kosten tragen.«
»Damit sitzt er fest in der Klemme«, sagte ich. Milo nickte. »Und dann noch der Zeitdruck. Onkelchen kann nicht lange unbemerkt Aktien von Chancellor zurückkaufen, ohne dass es bei Buchprüfungen auffällt und zu stinken anfängt. Er sucht nach einem Ausweg und überrascht sich bei dem Gedanken, wie schön das Leben sein könnte, wenn Chancellor - und der Junge - von der Bildfläche verschwänden. Er erzählt seinen Kummer seinem Mäuschen zu Hause, die Expertin darin ist, Leute durch giftige Kräuter abzumurksen, und sie machen einen hübschen Plan, der sie von all ihren Sorgen befreien wird: Chancellor aufzuschlitzen und dem Jungen den Mord in die Schuhe zu
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