Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
ruft eine akute, ziemlich gleichförmig verlaufende, einer Psychose ähnliche Reaktion hervor«, begann er, »die die Forschung vor einiger Zeit veranlasste, LSD als eine Substanz zu betrachten, die sich hervorragend für Versuche eignet. Klinisch gesehen unterscheiden sich ihre Auswirkungen jedoch erheblich von den Symptomen einer chronischen Schizophrenie.«
»Was meinen Sie mit erheblich?«
»Eine LSD-Vergiftung verursacht charakteristische, stark ausgeprägte Veränderungen des Sehvermögens - man sieht Farbenspiele, häufig in Dunkelgrün oder Braun, die Umrisse oder Maßstäbe vertrauter Dinge verzerren sich dramatisch -, und es entsteht ein überwältigendes Gefühl der Allmacht. LSD-Konsumenten halten sich für riesig, gottähnlich oder zu allem fähig. Manche springen aus dem Fenster, weil sie glauben, fliegen zu können. Halluziniert dagegen ein Schizophrener, hört er meist Stimmen, die ihn quälen. Die Stimmen sind verzerrt und undeutlich oder völlig klar. Sie ermahnen den Kranken, beschuldigen ihn, werfen ihm seine Sünden vor und fordern ihn auf, sich besonders seltsam zu verhalten. Allmachtgefühle können bei Schizophrenen auch vorkommen, sie schwanken jedoch abhängig vom Grad der Verwirrung. Die meisten fühlen sich eher wertlos, eingesperrt, unbedeutend. Bedroht.« Er lehnte sich zurück, sog an seiner Pfeife und versuchte vergeblich, professionell zu wirken. »Noch eine Frage, Sergeant?«
»Ich habe LSD-Süchtige erlebt, die Stimmen hörten«, sagte Milo. »Und viele waren auch paranoid.«
»Das gibt es«, antwortete Mainwaring. »Aber bei LSD-Abhängigen kommen visuelle Störungen weitaus häufiger vor als auditive und werden subjektiv sehr oft als positiv empfunden. Die Patienten berichten von gesteigertem Wahrnehmungsvermögen: Musik wird als reicher und schöner empfunden. Monotone Klänge erscheinen vielfältiger. Die von Ihnen erwähnte Paranoia gehört zu den unliebsamen LSD-Erfahrungen - dem so genannten Horrortrip. Dennoch werden die meisten Erfahrungen mit LSD als positiv geschildert. Bewusstseinserweiternd. Und das steht in scharfem Gegensatz zur Schizophrenie, Sergeant.«
»Gibt es keine glücklichen Verrückten?«
»Leider nicht. Schizophrenie ist eine Krankheit, kein Entspannungszustand. Schizophrene sind nicht vergnügt. Ihre Welt ist im Gegenteil trostlos und erschreckend, sie leiden sehr intensiv - eine menschliche Hölle, Sergeant. Und bevor die biologische Psychiatrie aufkam, existierte diese Hölle oft lebenslänglich.«
»Was können Sie über PCP erzählen?«
»Cadmus wurde auf PCP getestet, auch auf LSD.«
»Wir wollten doch nicht über Cadmus reden, erinnern Sie sich?«
Mainwaring wurde blass, zwinkerte mit den Augen und versuchte, seine reservierte Haltung zurückzugewinnen. Er verkniff die Lippen, so dass sich um seinen Mund ein weißer Ring bildete.
»Ja, natürlich. Deshalb wollte ich diese ganze Diskussion ja auch nicht …«
»Wie steht’s mit Ihrer Erkältung?«
Der weiße Ring verschwand, und das Gesicht des Psychiaters begann, sich zu entspannen.
»Es geht mir schon viel besser, danke.«
»Sie müsste auch langsam vorbei sein, ich habe Sie nicht einmal schniefen hören. Schon seit vier Tagen, sagten Sie?«
»Dreieinhalb Tage. Die Symptome lassen gerade nach.«
»Das freut mich. Bei einem solchen Wetter müssen Sie aufpassen. Und sich ja nicht anstrengen.«
»Sicher«, sagte Mainwaring und suchte im Gesicht des Detective nach einem Hintersinn. Milo erwiderte seinen Blick arglos.
»Womit kann ich Ihnen sonst noch helfen, Sergeant?«
»Wir sprachen gerade über PCP«, erwiderte Milo.
»Was wollen Sie darüber wissen?«
»Zuerst, wie perfekt man damit eine Schizophrenie vortäuschen kann.«
»Das ist eine außerordentlich komplizierte Angelegenheit. Phencyclidin ist eine faszinierende Substanz, nur sehr wenig erforscht. Bekannt ist, dass sie das vegetative Nervensystem beeinf lusst. Jedoch …«
»Es macht die Leute verrückt, oder?«
»Manchmal.«
»Manchmal?«
»Richtig. Menschen sind sehr unterschiedlich empfindlich. Manche PCP-Süchtige erleben euphorische Gefühle, andere benehmen sich schon nach der ersten Dosis vollkommen verrückt.«
»So verrückt wie bei einer Schizophrenie?«
»Das ist nicht ganz so einfach, Sergeant.«
»Ich kann auch Kompliziertes verstehen.«
»Nun gut.« Mainwaring zog die Stirn in Falten. »Um Schizophrenie sachkundig zu diskutieren, muss man berücksichtigen, dass es sich um ein sehr komplexes
Weitere Kostenlose Bücher