Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
überweisen. Ich sagte ihm, er solle das Geld behalten, bis ich meine Untersuchung abgeschlossen hätte. Es war eher eine symbolische Geste, fast etwas kleinlich, aber ich fühlte mich dadurch weniger belastet.
Das Gefängnis lag in der Baucher Street, unweit der Union Station in einem Viertel östlich vom Stadtzentrum, das halb Arbeitergegend, halb Slum war. Lagerhallen, Kaufhäuser, Fabriken, in denen unterbezahlte Arbeiter oft vierundzwanzig Stunden an einem Stück arbeiteten, verwitterte alte Kisten, hier und da ein verwahrlostes, ungenutztes Grundstück.
Man konnte das Gebäude durch ein unterirdisches Parkhaus erreichen. Ich stellte meinen Wagen neben einem alten weißen Chrysler voller Rostflecken ab. Zwei junge schwarze Frauen mit Kopftüchern und freundlichen Gesichtern stiegen aus dem Auto. Ich folgte ihnen über eine Eisentreppe in einen kleinen, stillen Innenhof, den die Mauern des Parkhauses mit denen des Gefängnisses bildeten. An der linken Seite war eine Tür mit der Aufschrift: »Nur für Justizangehörige mit Ausweis«. Der Boden bestand aus trockenem gelblichem Rasen, durch den ein schmutziger schmaler Pfad führte. Auch eine Fichte stand dort und daneben eine kleinere mit dürren Ästen, schief gewachsen und so kümmerlich, als sei sie das verwahrloste Kind der großen. Der Weg führte zu einer Doppeltür, die mit verspiegeltem Glas verkleidet war, der einzigen in der hohen, kahlen Gefängniswand.
Der Bau war aus Beton, breit, wuchtig, smogfarben. Der flache Block war oben durch Betonträger mit dem Parkhaus verbunden. Sie warfen kreuzförmige Schatten auf den Innenhof.
Die einzige Verzierung waren parallele Einkerbungen entlang der Betonbalken, als sei man, bevor der Beton trocknete, mit einer Egge darübergefahren.
Nun kamen die Frauen bei der Doppeltür an. Eine von ihnen zog an einem Griff, und der Spiegel glitt zur Seite. Ich folgte ihnen in einen winzigen Raum mit glänzenden gelblichen Wänden. Den Boden bedeckte abgewetztes Linoleum. An einer der Wände waren Schließfächer angebracht. Ein Schild forderte Waffenträger auf, diese dort einzuschließen. Vor uns befand sich eine Spiegelwand, hinter welcher ein Kämmerchen lag, das an das Kartenverkaufshäuschen eines Kinos erinnerte. In der Mitte der silbernen Wand war ein vergitterter Lautsprecher angebracht, darunter eine Klappe aus Edelstahl. Rechts von dem kleinen Raum befand sich ein blau gestrichenes Eisengitter, darüber war das Wort Warteraum zu lesen. Hinter dem blauen Gitter lag ein Hohlraum, der in einer schwarzen Eisentür endete.
Die beiden Frauen gingen in den Raum hinein. Eine Stimme bellte durch den Lautsprecher. »Zu wem wollen Sie?«
»Hawkins, Rainier P.«
»Ihre Besuchsgenehmigung bitte.«
Die beiden Frauen legten ihre Papiere in die Klappe, und kurz darauf öffnete sich das Gitter. Die beiden Frauen zwängten sich hindurch, das blaue Gitter schloss sich krachend hinter ihnen. Sie warteten schweigend in dem kleinen Raum, traten von einem Bein aufs andere, wirkten zu müde und angestrengt für ihr Alter. Der Lautsprecher forderte sie auf, ihre Handtaschen in die linke Hand zu nehmen, stellte ihnen einige Fragen, und nachdem sie diese beantwortet hatten, mussten sie erneut warten. Dann öffnete sich plötzlich die Metalltür an der Rückseite des Raums, und ein Aufseher in gelbbrauner Uniform tauchte auf. Er nickte den beiden Frauen zu, dann folgten sie ihm durch die Tür. Diese schloss sich gleich darauf mit einem lauten Knall. Das Ganze hatte etwa zehn Minuten gedauert.
»Der Nächste«, ertönte es aus dem Lautsprecher.
Ich näherte mich der Loge und gab meine Personalien an. Hinter dem Spiegelglas konnte ich nur schemenhaft die Gesichter junger Männer erkennen, die mich prüfend zu betrachten schienen. Ich reichte meine Kennkarte vom Western Pediatric Hospital hinein.
Nach einer Minute, in der sie das Papier überprüften, sagte der Lautsprecher: »Kommen Sie in den Warteraum, Doktor.«
An der einen Wand des winzigen Warteraums befand sich ein Aufzug, der mit Schlüssel bedient wurde. Links waren vor einem Stahlgitter gefärbte Schiebefenster angebracht. Dahinter saßen vier Beamte, drei Männer mit Schnurrbart und eine Frau. Sie alle sahen gut aus und waren unter dreißig. Die Männer sahen mich prüfend an und untersuchten dann das Exemplar des Hustler, das ich bei mir trug. Die Frau saß auf einem Drehstuhl und spielte mit einem Fingernagel an einer Warze herum. An der Wand, vor der die vier saßen,
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