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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Brille ab, hielt sie gegen das Licht, spuckte darauf und putzte sie liebevoll. Dann stand er auf und schlenderte durch das Zimmer.
    »Das ist sehr hübsch«, sagte er, während er eine Serie gerahmter Miniaturen aus Elfenbein beäugte. »Ist das indisch?«
    »Persisch.«
    »Wirklich sehr hübsch.«
    Er sah sich die Ölbilder an, blätterte in den Büchern, die auf dem Couchtisch lagen, befingerte die Polsterstoffe und prüfte kritisch seine Erscheinung in einem facettierten viktorianischen Spiegel. »Großartige Einrichtung«, urteilte er schließlich. »Hatten Sie einen Innenarchitekten?«
    »Nein.«
    »Und das haben Sie alles selbst eingerichtet?«
    »So nach und nach.«
    »Sie haben Geschmack«, meinte er. »Passt alles gut zusammen.«
    Er lächelte. Seine Bemerkungen schienen mir einen spöttischen Beiton zu haben, aber ich war mir nicht sicher, weil die getönten Brillengläser seinen Gesichtsausdruck abschirmten.
    Whitehead unterbrach uns.
    »Also Sir, ich möchte noch einmal auf das Telefongespräch zurückkommen. Vom Anfang bis zum Ende.«
    Ich wollte mich weigern, aber das hätte die Sache wahrscheinlich noch unerträglicher gemacht. Deshalb ging ich darauf ein, obwohl man mich wie ein Schulkind behandelte. Whitehead pflückte sich einen pflaumengroßen Batzen Kaugummi aus dem Mund, wickelte ihn in ein Papiertaschentuch ein und stopfte das Ganze in die Tasche. Nachdem er sich mit einem frischen Kaugummi versorgt hatte, setzte er sein Verhör fort.
    Sein Verfahren war unglaublich lächerlich. Er wiederholte alte Fragen und stellte eine Menge neue. Sie rangierten unter nichts sagend bis sinnlos. Während wir weiter unsere Zeit vergeudeten, begutachtete Cash weiter den Wohnraum und unterbrach uns dann und wann, um meinen guten Geschmack zu kommentieren. Whitehead beachtete ihn nicht.
    Das war nicht einmal die Guter-Polizist-böser-Polizist-Methode, sondern überhaupt keine. Sie hassten sich.
    Gegen Viertel vor sechs hatte sich das Verhör totgelaufen. Zehn vor sechs kam Robin nach Hause. Beide wirkten außerordentlich verblüfft, als ich sie ihnen als meine Verlobte vorstellte.
    Plötzlich war mir vieles verständlich: Whiteheads Abneigung, seine gezielten Kommentare über Abnorme und Cashs Beschäftigung mit meiner Inneneinrichtung. Sie hatten angenommen, dass ich schwul wäre.
    Wenn man nicht länger nachdachte, ergab alles einen Sinn, jedenfalls für engstirnige Polizisten. Ich war mit einem homosexuellen Kriminalbeamten befreundet, ich hatte einen homosexuellen Teenager behandelt und Anteilnahme an seinem Schicksal gezeigt. Mein Haus war geschmackvoll eingerichtet. In ihrer einfältigen Arithmetik hatten sie eins und eins zusammengezählt und waren zu dem sauberen kleinen Ergebnis gekommen, dass etwas nicht stimmte.
    Während sie aufbrachen, stieg Wut in mir hoch. Nicht weil sie mich für homosexuell gehalten hatten, sondern weil sie mich so voreilig abgestempelt und entwürdigend behandelt hatten. Dabei dachte ich an Jamey. Sein ganzes bisheriges Leben hatte er sich abstempeln lassen müssen. Waise, Genie, Außenseiter, Homosexueller. Und jetzt war er für sie ein Monstrum, ohne dass sie es für wert hielten, darüber nachzudenken. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich mit dem Fall beschäftigen musste.
    Souza hatte mich vor eine schwere Wahl gestellt. Durch die beiden Polizisten war mir die Entscheidung erleichtert worden.

7
    Am nächsten Morgen rief ich den Anwalt an und sagte ihm meine Mitarbeit zu, vorausgesetzt, dass meine Bedingungen angenommen würden.
    »Schön, Doktor«, sagte er, als hätte ich die einzig vernünftige Entscheidung in dieser Lage getroffen. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«
    »Zunächst möchte ich mit Jamey sprechen, danach will ich die Familiengeschichte aufarbeiten. Wen sollte ich am besten als Ersten befragen?«
    »Der beste Biograf der Familie Cadmus bin ich«, sagte er. »Ich gebe Ihnen einen Überblick über die Familiengeschichte, danach können Sie mit Dwight und den anderen reden. Wann möchten Sie den Jungen besuchen?«
    »So bald wie möglich.«
    »Schön, ich werde gleich dafür sorgen, dass Sie schon heute zu ihm können. Haben Sie schon einmal ein Gefängnis besucht?«
    »Nein.«
    »Gut, dann schicke ich Ihnen jemanden, der Sie dort ein wenig einweist. Nehmen Sie Ihren Personalausweis mit und ein Papier, das belegt, dass Sie Arzt sind.«
    Er gab mir noch einige Ratschläge und bot mir an, gleich den Vorschuss von zehntausend Dollar zu

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