Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
geht es ein bisschen anders zu.«
»Siebentausend Anwärter für fünfunddreißig Räume, sehr exklusiv, dort zu sein«, sagte ich.
»Das kann man wohl sagen. Das ist noch elitärer als Harvard.«
Als wir uns dem Zentrum des Gefängnisses näherten, war es vorbei mit der Stille. Ein insektenartiges Summen war überall zu hören. Montez hatte den Knast mit einer Universität verglichen. So falsch lag er damit seltsamerweise gar nicht. Überall weite, lange Flure voller junger Menschen, die irgendwelchen Beschäftigungen nachgingen. Es erinnerte tatsächlich an den Immatrikulationstag zu Beginn eines Semesters. Aber die Wände dieser Hochschule waren moderig, es herrschte ein übler, Ekel erregender Geruch, und keiner der jungen Leute hier hatte den fröhlichen Gesichtsausdruck, der Studenten eigen ist. Die Männer hier hatten versteinerte Gesichter, es war höchst unangenehm, an den langen Reihen Gefangener vorbeigehen und ihre kalten und zugleich prüfenden Blicke ertragen zu müssen. Die Männer liefen frei herum, und wir gingen durch sie hindurch, ungeschützt. Sie standen da allein oder in Gruppen, angekleidet mit königsblauen Overalls. Manche gingen zielbewusst einher und hatten irgendwelche Papiere dabei. Andere lungerten auf Plastikstühlen herum, andere wieder standen Schlange, um sich Zigaretten oder Bonbons zu kaufen. Ab und zu sah man uniformierte Wärter auf und ab gehen und die Gefangenen beobachten, aber die Zahl der Gefangenen überstieg die ihre beträchtlich, und ich hätte nicht gewusst, wie sie hätten verhindern sollen, dass die Insassen ihre Bewacher überwältigten und - sie und uns - in Stücke rissen.
Montez sah meinen Blick und nickte.
»Ich hab Ihnen ja schon gesagt, es ist die Hölle hier. Zusammengehalten wird alles mit Gebeten und Spucke.«
Wir gingen weiter durch die Flure. Es waren vorwiegend junge Männer hier, kaum älter als fünfundzwanzig. Die Wärter schienen kaum älter. Eine Riesenmenge bulliger Schultern und kraftvoller Bizeps. Ich wusste, was das hieß. Stundenlanges Bodybuilding und Muskeltraining, bekanntlich eine der beliebtesten Beschäftigungen beim Hofgang.
Die Gefangenen blieben nach Rassen getrennt. Die meisten waren Schwarze, manche hatten rasierte Schädel, andere langes, wirres Haar, viele hatten Narben von Messerstichen. Die zweitgrößte Gruppe bestand aus Lateinamerikanern, dann erst kamen die Weißen. Trotz aller Unterschiede hatten sie eines gemeinsam: die Augen. Diese waren kalt und wie tot, unbeweglich und doch durchdringend. Es war nicht lange her, dass ich schon einmal solche Augen gesehen hatte, ich wusste aber nicht mehr, wo.
Montez führte mich nun in eine Abteilung für Gefangene mit Straftaten aller Art. Die meisten Zellen waren leer, die Insassen hatten wir ja gerade auf dem Flur gesehen. Dann gingen wir in den Sicherheitstrakt, in dem sich lauter hagere, wild aussehende Männer in gelben Anzügen aufhielten, die Grimassen schnitten und wie Tiere im Zoo in der Zelle hin und her liefen. In einem Glaskasten in der Mitte der beiden Gebäudeflügel saß ein finster dreinblickender Aufsichtsbeamter. Als er uns sah, öffnete er die Tür. Als ich die Glasloge betrat, kam ich mir vor wie ein Taucher, der in einem Becken voller Haie schwimmt. Aus unzähligen Lautsprechern dröhnte Soul-Musik über die Abteilung, selbst in dem Glaskasten hörte man sie überlaut. Ich musste an einen Artikel denken, den ich kurz zuvor in einer psychologischen Fachzeitschrift gelesen hatte. Er handelte von der Wirkung von lang anhaltendem Lärm auf Ratten. Zuerst waren die Nagetiere gereizt und erregt gewesen, dann aber waren sie in einen Zustand passiver Besessenheit geraten. Ich dachte an den einen gelb gekleideten Mann, der immer auf und ab gerannt war, und fragte mich zum tausendsten Mal, ob Verhaltensforschung mit Tieren wohl auf den Menschen übertragbar sei oder nicht.
An der Wand waren elektronische Kameras installiert, darüber ein Gestell, auf dem zwei Schrotflinten befestigt waren. Ein Gefangener im khakifarbenen Overall war dabei, den Fußboden zu reinigen.
»Ist er Hausarbeiter?«, fragte ich.
»Genau. Alle haben hier eine bestimmte Farbe: Blau sind die gewöhnlichen Gefangenen, Khaki bedeutet, dass sie Sonderposten haben, Transportarbeiter haben eine rote Armbinde, die in der Küche weiße. Und alle diese hier, die Gelb tragen, sind Psychofälle. Sie kommen nie aus der Zelle raus.«
»Wodurch unterscheiden sie sich von den Leuten drüben bei
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