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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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nicht«, antwortete ich und verließ das Gebäude.
    Auf dem Nachhauseweg hielt ich an einem Delikatessengeschäft in der Nähe von Robertson und kaufte Lebensmittel ein: ein Pfund Corned Beef, Gewürzgurken, Salat und ein in dicke Scheiben geschnittenes Kümmelbrot. Der Abendverkehr stand Stoßstange an Stoßstange, trotzdem schaffte ich es in einer guten halben Stunde bis zum Valley. Zu Hause fütterte ich erst die Zierkarpfen, warf dann einen Blick auf die Post, ging in die Küche, belegte ein paar Sandwiches und stellte sie auf einem Teller in den Kühlschrank. Als Robins Wagen sich geräuschvoll ankündigte, wartete ich schon mit einem Glas Grolsch auf der Terrasse. Robin hatte fast den ganzen Nachmittag gesägt und geschliffen und sah müde aus. Als sie das Essen sah, jubelte sie.
    Nach dem Abendessen saßen wir im Wohnzimmer, die Füße hochgelegt, und lasen die Times . Auf Seite drei sah mich Jamey an.
    Das Bild war ein Passfoto in üblicher Pose, das vermutlich einige Jahre alt war. Das Schwarzweißfoto gab seine Augen nur verschwommen wieder. In anderem Zusammenhang hätten seine nach unten gezogenen Lippen ihn eher traurig erscheinen lassen, unter den gegenwärtigen Umständen wirkte er jedoch bedrohlich. Der unter dem Foto stehende Artikel beschrieb ihn als »Nachkomme einer prominenten Familie aus der Bauindustrie« und setzte sich mit seinen »ernsten psychischen Schwierigkeiten« auseinander. Eine Mitteilung am Ende wies auf Nachforschungen der Polizei in Digby Chancellors Vergangenheit hin. Souza arbeitete schnell.

10
    Am nächsten Morgen zog ich Jeans, ein Polohemd und Sandalen an, nahm meine Mappe und ging den Berg hinunter zur UCLA. Die Straße war dicht befahren, von Pendlern, die tagaus, tagein eine Pilgerfahrt von ihren Häusern im Valley zum westlichen Geschäftsviertel unternahmen. Sie kamen nur zentimeterweise vorwärts, und wie ich sie so beobachtete, kam mir Black Jack Cadmus in den Sinn, und ich fragte mich, wie viele von ihnen wohl Obstbäume im Garten hatten. Ich ging durch Sunset, dann in südlicher Richtung bis Hilgard und betrat das Unigelände in Strathmore. Von hier war es nicht weit bis zum Medizinischen Institut, einem Komplex, der aus riesigen verziegelten Ungetümen besteht und angeblich mehr Flure beherbergt als das Pentagon. Ich hatte einen Großteil meiner Jugend in diesen Räumen verbracht.
    Ich betrat das Gebäude im Parterre und sah mich gewohnheitsgemäß nach rechts um. In den Glasvitrinen auf dem Flur zur Biochemie-Bibliothek war eine Ausstellung zu sehen. Diesen Monat wurden Operationsinstrumente gezeigt. Ich sah mir dieses Arsenal therapeutischer Waffen an. Es begann mit Feuersteinen, mit denen in prähistorischer Zeit Schädel trepaniert worden waren - alles war an Puppen demonstriert, deren Gehirn man zu sehen bekam -, und endete mit modernsten Laserinstrumenten zur Behandlung von Arterien.
    Die Bibliothek hatte gerade erst geöffnet, es herrschte angenehme Ruhe hier. Das würde nicht lange so bleiben. Spätestens um zwölf waren die Räume überfüllt mit Medizinstudenten, Anfängern und Fortgeschrittenen, übernächtigten Assistenzärzten und grimmig aussehenden Diplomanden, die hinter Mengen aufgestapelter Fachbücher kaum zu sehen waren.
    Ich setzte mich an einen Eichentisch, öffnete meine Tasche und nahm den Band Fish’s Schizophrenie heraus, den ich von zu Hause mitgebracht hatte. Es war die neueste Auflage; nach zwei Stunden genauer Lektüre aber hatte ich nichts erfahren, was ich nicht schon gewusst hätte. Ich legte das Buch weg und machte mich auf die Suche nach neueren Arbeiten, Zeitschriftenartikeln und Forschungsberichten. Nachdem ich eine halbe Stunde in der Microfiche-Kartei nachgesehen, Kataloge gewälzt und schließlich drei Stunden lang zahlreiche Sachen durchgelesen hatte, flimmerte es mir vor den Augen, und mir war schwindelig im Kopf. Ich machte eine Pause und ging zum Imbissautomaten.
    Draußen im Innenhof trank ich bitteren Kaffee, aß dazu ein schrecklich süßes Teilchen und überlegte, wie wenig an neuen Erkenntnissen ich in der Unmenge von Literatur gefunden hatte; das meiste war theoretisch und spekulativ, mit Wirklichkeit hatte es nicht viel zu tun.
    Schizophrenie bedeutet vom Wortsinn her »Gespaltener Geist«, aber diese Bezeichnung trifft die Sache nicht besonders gut. Es wäre richtiger, zu sagen, dass der Geist sich zersetzt, auf bösartige, krebsähnliche Weise zerfressen wird, es ist ein Verfall des Denkens. Die Symptome der

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