Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
wenige Sätze hatten jedoch einen Sinn gehabt. Man konnte das zwar kein normales Gespräch nennen, aber er hatte mehr geantwortet als Ja oder Nein. Ich diskutierte diesen Aspekt mit Mainwaring, der davon jedoch unberührt blieb.
»Während der letzten Besserungsphase verstärkten sich seine verbalen Aktivitäten. Das bestärkte mich in der Hoffnung, dass meine letzte Medikation erfolgreich war.«
»Behandeln Sie ihn zurzeit mit den gleichen Mitteln?«
Er sah mich finster an.
»Gewissermaßen. Niemand im Gefängnis ist aber in der Lage, die Auswirkungen zu beobachten, so bin ich zu einer sehr konservativen Dosierung gezwungen. Im eigentlichen Sinne ist das keine Behandlung, nur Flickwerk, es zeigen sich bereits wieder Anzeichen einer Verschlechterung.«
»Das könnte den Zustand erklären, in dem ich ihn bei meinem letzten Besuch vorfand. Beim ersten Mal war er kaum wahrnehmungsfähig und zeigte alle Anzeichen einer tardiven Dyskinesie. Beim zweiten Mal erschien er mir ein bisschen wacher, weniger nervlich beeinträchtigt.«
Mainwaring räusperte sich.
»Ich würde vorschlagen«, meinte er sarkastisch, »dass Sie ab sofort Worte wie wach und wahrnehmungsfähig vermeiden und auch den Begriff des vorsätzlichen Drogenmissbrauchs. Solche Formulierungen sollten wirklich der Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben. Ihre Verwendung würde auch unsere wissenschaftliche Bewertung herabmindern.«
»Also verminderte Zurechnungsfähigkeit, verursacht durch paranoide Schizophrenie.«
»Korrekt. Das ist eine Beschreibung, die unnütze Diskussionen verhindern hilft, Juristen können das kaum noch verstehen.«
Sie werden schon ihre Gründe haben, dachte ich und verkniff mir eine Antwort. Er sah mich durchdringend an und begann, in den auf seinem Schreibtisch herumliegenden Papieren zu suchen.
»Haben Sie noch eine Frage, Doktor?«, fragte er.
»Ja. Miss Browns Aufzeichnungen klingen etwas positiver als die anderen. Kann man sich darauf verlassen?«
Er lehnte sich zurück und legte seine Beine auf die Tischplatte. Ich erblickte ein Loch in seiner Schuhsohle.
»Miss Brown gehört zu den gutmütigen, mütterlichen Typen, die dazu neigen, sich aus Mangel an Intelligenz und Ausbildung allzu sehr mit den Patienten zu identifizieren. Ihre Kolleginnen haben sich darüber amüsiert, sie war aber sonst kein Problem. Ich war über ihre Anstellung nicht sehr glücklich, aber die Familie war beunruhigt und hielt eine besondere Pflege für wichtig. Obwohl sie keinen Schaden anrichten konnte, war ich damals vielleicht zu nachgiebig.«
Oder durch Dollarscheine beeindruckt.
Seine Wangenmuskeln traten hervor, als er auf das Pfeifenmundstück biss. Er sah mich prüfend an, als wolle er sich bestätigen lassen, dass er richtig gehandelt hatte.
»Sie bezweifeln also ihre Glaubwürdigkeit.«
»Sie ist eher ein Kindermädchen«, sagte er schroff, »kein Profi. Nun, wenn das Ihre Fragen...«
»Nur noch eins. Ich würde mich gern mit Mrs. Vann unterhalten.«
»Mrs. Vann ist nicht mehr hier.«
»Wurde ihr wegen Jameys Flucht gekündigt?«
»Nein. Sie hat uns vor ein paar Tagen auf eigenen Wunsch verlassen.«
»Gab sie Gründe an?«
»Nur, dass sie schon fünf Jahre bei uns gewesen sei und eine berufliche Veränderung wünsche. Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht. Die Arbeit ist schwer, und nur wenige bleiben länger hier. Sie ist eine hervorragende Krankenschwester, es ist bedauerlich, dass ich sie verloren habe.«
»Sie haben ihr also keine Vorwürfe wegen der Flucht gemacht.«
Er zog die Augenbrauen hoch, wodurch sich zahlreiche Falten auf seiner Stirn bildeten.
»Dr. Delaware, das klingt wie eine Vernehmung. Sie sind doch gekommen, um sich von mir unterrichten zu lassen, und nicht, um mich ins Kreuzverhör zu nehmen.«
Daraufhin entschuldigte ich mich für meine Vorgehensweise, was ihn aber nicht zu beruhigen schien. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte damit ärgerlich auf den Rand des Aschenbechers. Eine kleine Aschenwolke erhob sich, sank wieder zurück und hinterließ eine neue Staubschicht auf dem Papierchaos.
»Vielleicht sind Sie sich der Bedeutung Ihrer Aufgabe noch nicht bewusst«, sagte er schließlich. »Es wird nicht leicht sein, zwölf unerfahrene Geschworene davon zu überzeugen, dass der Junge nicht zurechnungsfähig war. Die Gefahr, dass wir uns dabei blamieren, ist groß. Wir sind Sachverständige, keine Richter. Warum bestehen Sie auf Ihrer abweichenden Meinung?«
»Aus meiner Sicht ist nicht
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