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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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natürlich der Täter hier abgelegt haben – wer denn sonst?
    Inzwischen hatte er den Gedenkstein erreicht. Von allen Seiten her inspizierte er die Plastikblume. Sie sah tatsächlich genau so aus, wie diejenige, die gerade vor seinem geistigen Auge aufgetaucht war.
    Quatsch, es gibt eine noch viel naheliegendere Erklärung dafür, revidierte er urplötzlich seine bisherige Hypothese: Die hat wahrscheinlich ein Spaziergänger dort abgelegt. Klar: Der kommt hier jeden Tag vorbei und hat gesehen, dass die Lilie verschwunden ist. Schmunzelnd wiegte Tannenberg den Kopf hin und her. Wahrscheinlich hat dieser Mensch sogar zu Hause einen ganzen Strauß davon herumliegen. Das ist bestimmt so ein verschrobener Erinnerungsapostel.
    »Auf, Kurt, wir kehren um«, rief er laut in den Wald hinein. Murmelnd ergänzte er: »Ich glaube, es wird Zeit, dass dein Herrchen einen starken Kaffee bekommt – der sieht nämlich schon überall Gespenster.«
    Tannenberg blickte sich suchend um, doch Kurt war nirgendwo zu sehen. Obwohl er angestrengt nach allen Seiten horchte, konnte er nur das vielstimmige Vogelkonzert wahrnehmen, mit dem die Tiere den neuen Tag begrüßten. Aber von seinem Hund hörte er keinen Ton.
    »Kurt, hier!«, schrie er aus vollem Halse.
    Doch nichts tat sich. Während er weiter nach ihm rief, ging er zunächst etwa fünfzig Meter den Weg entlang, auf dem er hierher gelangt war. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und kehrte zum Gedenkstein zurück. Mit einem Mal kroch ihm die kalte Angst den Rücken empor, denn die anhängliche Hundedame ließ ihn ansonsten nie aus den Augen. Auch wenn sie im Wald herumstreunen durfte, kam sie gleich nach dem ersten Rufen brav zu ihrem Herrchen gelaufen.
    Verdammt, vielleicht liegt ja tatsächlich über der Jammerhalde ein Todesfluch, wie Vater behauptet hat. Panik erfasste ihn.
    »Kurt«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. In seiner Verzweiflung griff er zu einem Hilfsmittel, das er schon ewig nicht mehr eingesetzt hatte: Er legte die Fingerspitzen auf die Unterlippe und pfiff so laut er nur konnte.
    Nach seinem dritten Pfiff hörte er weit über sich ein Geräusch, das langsam anschwoll. Es war ein rauschendes Poltern, begleitet vom Klang knackenden Holzes. Er warf den Blick nach oben in den Steilhang der Jammerhalde. Zu seiner großen Erleichterung entdeckte er genau in der Falllinie oberhalb des Gedenksteins den heiß geliebten, bärenartigen Vierbeiner, der mit Karacho durch das Unterholz preschte.
    »Langsam, langsam, mein Mädchen!«, mahnte Tannenberg, »sonst brichst du dir noch alle Knochen.«
    Als ob Kurt die Worte seines Herrchens tatsächlich verstanden hätte, bremste er auf einmal so scharf ab, dass er sich dabei um ein Haar überschlagen hätte.
    In Erwartung einer stürmischen Begrüßung nahm Tannenberg eine seitliche Körperhaltung ein. Dadurch gelang es ihm für gewöhnlich, die Temperamentsausbrüche der Hundedame einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Allerdings erwies sich diese Vorsichtsmaßnahme diesmal als völlig überflüssig. Denn anstatt zu seinem Besitzer zurückzukehren, blieb Kurt stehen und begann aufgeregt zu bellen. Der Kriminalbeamte kannte seinen Hund inzwischen so gut, dass er sofort begriff, was Kurt wollte: ihn mit seinem heftigen Anschlagen auf etwas Wichtiges aufmerksam machen.
    Da sich der Hund exakt an der Stelle befand, an der am Tag zuvor der Tote aufgefunden wurde, dachte Wolfram Tannenberg nicht lange über Kurts Verhalten nach, denn die Erklärung dafür lag unmittelbar auf der Hand.
    »Klar: Meinem supersensiblen Hundemädchen ist der Leichengeruch in das feine Näschen gestiegen«, murmelte er mit stolzgeschwellter Brust. Vielleicht sollte ich sie doch noch zum Polizeihund ausbilden lassen.
    Mit fröhlich beschwingten Schritten lief er zu dem Platz, wo Kurt beharrlich stand und bellte. Als Wolfram Tannenberg seinen Hund erreichte, traf ihn fast der Schlag. Kurt hatte tatsächlich den Geruch eines toten Menschen wahrgenommen. Allerdings handelte es sich bei der markanten Geruchsquelle nicht um einen imaginären, sondern um einen überaus konkreten menschlichen Leichnam.
    Es war das gleiche bizarre Szenario, das er knapp 24 Stunden zuvor an derselben Stelle schon einmal gesehen hatte:
    Wieder lag hinter dem kleinen Felsen oberhalb des Sandsteinfindlings ein männlicher Leichnam.
    Wieder war er vollständig bekleidet.
    Wieder lag er auf dem Rücken, die Arme stark angewinkelt und die Hände auf dem Brustkorb

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