Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
ärgerte er sich maßlos über sich selbst: Du elender Vollidiot!, schimpfte er tonlos auf sich ein. Musst du sie denn jetzt auch noch daran erinnern. Du bist wirklich der unsensibelste Trampel weit und breit.
Johanna schien sich jedoch von dieser Bemerkung nicht ihre Vorfreude auf das geheimnisvolle Überraschungsevent verderben lassen zu wollen. »Da haben Sie recht«, antwortete sie schmunzelnd. »Wenn ich ins Aschbachtal einfahre und unser Gestüt sehe, komme ich sofort auf andere Gedanken. Bei uns gibt es auch immer so viel Arbeit. Da kann man sich wunderbar ablenken.«
Tannenberg schickte ein inbrünstiges Gebet gen Himmel: Bitte, lieber Gott, mach, dass sie mich jetzt nicht fragt, ob ich Pferde mag und ob ich reiten kann. Bitte, bitte.
Der HERR erhörte offenbar sein Flehen, denn Hanne hing schweigend ihren Gedanken nach. Er war heilfroh, dass dieses Thema damit für sie erledigt schien. Mit Pferden hatte er nämlich absolut nichts am Hut.
10
Als sich der Luxus-Reisebus der Abzweigung nach Stelzenberg näherte, dachte Wolfram Tannenberg unweigerlich zurück an seinen vorletzten Fall. Des zweifachen Mordes verdächtigt, hatte er sich damals bei seiner Flucht vor den eigenen Kollegen und einem Profikiller zeitweise in den Stelzenberger Höhlen versteckt.
Während er sich gedanklich mit den schmerzlichen Erinnerungen an diesen teuflischen Komplott beschäftigte, erreichte der Bus den neuen Verkehrskreisel, den irgendwelche genialen Schreibtischtäter bei Langensohl in die vormals absolut intakte Straßenführung hineingepflanzt hatten.
So ein völlig überflüssiger Schwachsinn, schimpfte Tannenberg im Stillen. Der hat garantiert eine schöne Stange Geld gekostet. Das Geld hätte man bedeutend sinnvoller zur Reparatur der vielen Krater in den Straßendecken verwenden können. Diese unfähigen Provinzbürokraten müssen auch wirklich jedem noch so albernen Modetrend hinterherhecheln.
Doch nur wenige Sekunden später revidierte er seine Meinung radikal. Die Fliehkräfte hatten ihm nämlich einen direkten Körperkontakt zu Hanne verschafft, den er nur den extremen Lenkbewegungen des Busfahrers zu verdanken hatte. Schulter an Schulter konnte er abermals ihren verführerischen Körperduft einsaugen.
Sie hat überhaupt nicht abweisend reagiert, sondern gelächelt, sogar vieldeutig gelächelt. So als ob es ihr gar nicht unrecht war, dass ich ihr so nahe auf die Pelle gerückt bin, dachte Tannenberg.
Das bildest du dir doch nur ein, du Traumtänzer!, warf ihm seine innere Stimme mal wieder einen dicken Knüppel zwischen die Beine. Hast du dich überhaupt rasiert und deodoriert?
Reflexartig schnellte seine Hand zum Kinn und strich prüfend darüber hinweg. Gott sei Dank hab ich mich rasiert! Er drehte den Kopf zum Fenster hin, schob zwei Finger in den Hemdkragen und drückte den Stoff nach außen. Was er da gerade erschnüffelte, roch bei weitem nicht so unangenehm, wie er befürchtet hatte.
Erleichtert richtete er den Blick auf die ersten Häuser, die hinter einer Straßenbiegung auftauchten. Plötzlich erklangen ihm die Carmen-Lobeshymnen seines Bruders im Ohr. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Betty hatte das kunst- und kulturbegeisterte Ehepaar selbstverständlich an diesem ›Mega-Kultur-Event‹, wie sie es genannt hatten, teilgenommen. Tagelang hatten sie von nichts anderem gesprochen.
Oh je, hoffentlich nicht dieses laute Freiluft-Geplärre, stöhnte Tannenberg innerlich auf. Sein Flehen wurde offensichtlich abermals von höchster Stelle erhört, denn der Reisebus bog in Trippstadt hinter dem Hotel Schwan nicht nach rechts zum Schloss ab, sondern folgte der abknickenden Vorfahrtsstraße in Richtung Antonihof. Also geht’s wohl doch nach Landau oder Karlsruhe. Na, dann hab ich ja wenigstens noch eine Stunde Galgenfrist bis zu dieser kulturellen Zwangsbeglückung.
In ausgelassener Stimmung wechselten Tannenberg und Hanne übergangslos von einem Smalltalkthema zum anderen. Während sie munter miteinander plauderten, machte sich plötzlich Unruhe unter den Businsassen bereit. Das Stimmengewirr schwoll an, einige der Fahrgäste erhoben sich sogar von ihren Plätzen.
Erst jetzt bemerkte Tannenberg, dass der Reisebus seine Geschwindigkeit verlangsamt hatte und gerade von der B 48 abbog. Irritiert schaute er aus dem Fenster.
»Johanniskreuz«, murmelte er. »Was sollen wir denn mitten in der Nacht in Johanniskreuz? Da liegen doch normalerweise nur Hund und Katze begraben.« In Anspielung auf die
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