Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
gewünschten Rapport. Nachdem Tannenberg sich diese Ausführungen geduldig angehört hatte, ging er in die Offensive und holte sich einige Zusatzinformationen ein.
Karl Mertel, der langjährige Leiter der kriminaltechnischen Abteilung eröffnete die Runde und beantwortete die erste Frage: »Nein, Wolf, einen Gegenstand, der als Tatwerkzeug für den Anschlag auf dich in Betracht kommen könnte, haben wir leider noch nicht gefunden. Meine Kollegen suchen selbstverständlich weiter danach.«
Er warf einen demonstrativen Blick hinaus in die Nacht und erläuterte. »Bei Tageslicht rechne ich uns weitaus größere Chancen aus.« Er brach ab, zog die Stirnpartie in Falten. »Aber es kann natürlich genauso gut sein, dass der Täter den Knüppel – oder was immer es auch gewesen sein mag – mitgenommen hat.«
»Im Reisebus oder wie?«, polterte Tannenberg dazwischen.
Mertel blies genervt die Backen auf. Einige der Gäste waren mit ihren PKWs da. Außerdem kann das Tatwerkzeug auch irgendwo im Wald unter Laub versteckt worden sein. Oder es wurde ins Lagerfeuer geworfen.«
»Okay, Karl, wie ich sehe, bringt uns das jetzt nicht weiter. Was hast du noch für mich?«
Der Kriminaltechniker zuckte mit den Schulter. »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts mehr.«
»Was ist mit verwertbaren Zeugenaussagen?«
»Fehlanzeige. Bis auf diesen Winzer waren offensichtlich alle anwesenden Personen entweder im ›Haus der Nachhaltigkeit‹ oder sie hielten sich in unmittelbarer Nähe des Tümpels auf. Also da, wo dieser Schriftsteller seine Lesung abgehalten hat.«
Schriftsteller?, höhnte Tannenberg in Gedanken. Aufgeblasener Schaumschläger, Buchstabenquäler!
»Sag mal, Wolf, hat dieser Künstler für sein Happening eigentlich deinen ersten Fall als Grundlage verwendet?«, wollte Sabrina Schauß wissen.
»Spielt jetzt keine Rolle«, knurrte der Leiter des K 1. Die Wirkung der Schmerzmittel ließ allmählich nach. Er fasste sich an die Schläfen und rieb sie vorsichtig mit den Fingerkuppen. »Weiter!«
Die Kriminalbeamten warfen sich fragende Blicke zu.
»Also nichts mehr«, schlussfolgerte Tannenberg.
»Jedenfalls nichts mehr zu dem Anschlag auf dich. Aber zu unserem aktuellen Fall gibt es noch ein paar Neuigkeiten. Vielleicht hängen diese beiden Dinge ja auch zusammen«, orakelte Sabrina und schob bedeutend leiser nach: »Irgendwie.«
»Irgendwie? So weit bin ich auch schon«, erwiderte ihr Vorgesetzter und verstummte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck.
»Ich hab noch Einiges über den ersten Toten in Erfahrung gebracht«, ergriff Michael Schauß nun das Wort. »Der Mann heißt Istvan Borbely und lebte mit seiner Familie in Budapest. Er war Informatik-Professor und hat tatsächlich während seines Aufenthaltes hier bei uns im Gästehaus der Universität gewohnt. Er hat am vorletzten Mittwoch, also am 10. Juli, sein Zimmer geräumt und sich bei seinen Gastgebern verabschiedet – mit dem Ziel Amsterdam.« Er seufzte. »Wo er ja leider niemals angekommen ist.«
»Wie ist er denn zum Bahnhof gelangt? Mit einem Taxi?«
»Nein, Wolf, offensichtlich nicht. Er wollte anscheinend unbedingt zu Fuß gehen. Das hat er jedenfalls einem seiner deutschen Kollegen gesagt.«
»Das heißt, der Täter hat ihn auf dem Weg dorthin irgendwo abgefangen«, brummelte Tannenberg vor sich hin.
»Kann sein, muss aber nicht«, bemerkte Karl Mertel. »Vielleicht war er ja auch mit dem Professor verabredet.«
Tannenberg verzog skeptisch den Mund. »Ein international renommierter Informatik-Professor trifft sich mit einem amoklaufenden Psychopathen? Na, also wirklich. Ich hab selten etwas Dooferes gehört.« Kopfschüttelnd wandte er sich an Sabrina. »Was ist mit der Identität unseres zweiten Mordopfers? Ist die inzwischen auch geklärt?«
»Stimmt, Wolf, das weißt du ja noch gar nicht«, erklärte die attraktive Kommissarin. Sie kratzte sich kurz hinterm Ohr und ergänzte in vorwurfsvollem Ton: »Ich hab dich gestern Abend ein paar mal zu erreichen versucht, aber du hattest offenbar mal wieder dein Handy ausgeschaltet …«
»Weiter!«
»Gestern Abend hat sich eine Frau auf der Wache in der Gaustraße gemeldet und eine Vermisstenanzeige aufgegeben.« Sie zückte ihr kleines Notizbuch. »Bei dem Mann handelt es sich um einen gewissen Piotr Katschinsky, wohnhaft in der Steinstraße Nr. …«
»Ein Pole?«, fiel ihr Tannenberg erneut ins Wort.
»Ja. Ein polnischer Staatsangehöriger mit gültiger Aufenthaltserlaubnis.«
»Bei dem einen
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