Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
ins Wort. »Das ist doch auch logisch, oder? Dann kann sich diese Fressgier nämlich gar nicht erst richtig aufbauen.«
Dieser Argumentation vermochte Petra Flockerzie nichts entgegenzusetzen. Oft genug hatte sie diesen sogenannten Jojo-Effekt schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die mühsam abgehungerten Pfunde waren ruckzuck wieder auf den Rippen.
Nur wegen diesem blöden Heißhunger, schimpfte sie innerlich. Der Chef hat vollkommen recht. Nachdem sie sich zu einer sofortigen Diätpause entschlossen hatte, wandte sie sich wieder voller Tatendrang ihrem Rechercheauftrag zu und freute sich auf ihr Mittagessen.
Der Leiter des K 1 lief zunächst die Treppen hinunter in den Keller. Sabrina Schauß, die ihren Chef vor der Tür erwartete, eröffnete ihm, dass Kreilinger sich zum Schweigen entschlossen habe, da er sich zuerst mit seinem Anwalt beraten wolle. Ihr Vorgesetzter warf einen Blick durch den Einwegspiegel in den Verhörraum, wo Kreilinger stocksteif und stumm an einem Tisch saß.
Da es für ihn hier erst einmal nichts zu tun gab, stattete Tannenberg seinem Kollegen Mertel einen kurzen Besuch ab, der im Labor der Kriminaltechnik die historischen Waffen inspizierte. Bislang hatte dieser jedoch weder auf dem Morgenstern noch auf den anderen alten Waffen Blutspuren entdecken können.
Als Tannenberg gerade überlegte, ob er nun den Rechtsmediziner anrufen und ihn um die aktuellen Obduktionsergebnisse bitten sollte, läutete das Telefon. Es war seine Sekretärin. Vor lauter Aufregung brachte sie lediglich wirre Satzfetzen zustande. Er eilte sofort die Treppen hoch zu ihr.
»Da, da«, stammelte Petra Flockerzie, als ihr Chef schnaubend bei ihr eintraf. Sie tippte auf den Computermonitor. »Diese Johanna ist gerade online.«
Wolfram Tannenbergs Augen rasten förmlich über die unfassbaren Sätze hinweg:
Während Sie letzte Nacht ›Spirit auf History‹ gespielt oder geschlafen haben, waren wir wieder aktiv. Nicht in einem Rollenspiel, nein, in der Wirklichkeit. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir dem Geist der Geschichte Leben eingehaucht. Unsere Organisation hat ein weiteres Exempel statuiert. Wieder an einem Nachkommen eines der damaligen Täter. Diesmal hat unser Kämpfer mit einem Morgenstern Rache geübt, einer der fürchterlichsten Waffen des 30-jährigen Kriegs.
Schon bald können Sie es in allen Zeitungen lesen. Unsere Mission schreitet unaufhaltsam fort. Die nächsten Opfer sind bereits ausgespäht.
Wollen Sie nicht endlich auch etwas tun, anstatt immer nur diese albernen Computerspielchen zu veranstalten? Los, geben Sie sich einen Ruck und tun Sie endlich etwas Produktives! Helfen Sie mit, die Verantwortlichen für die Greueltaten an Ihren Vorfahren zu bestrafen. Auch Ihre Großväter und Urgroßväter waren unschuldige Opfer! Nehmen Sie teil an einem Rachefeldzug, wie ihn die Welt noch nie zuvor erlebt hat.
Dadurch werden Sie selbst Teil der Geschichte! Noch in vielen Generationen wird man von Ihren ruhmreichen Taten sprechen, wird man Ihnen danken, wird man Sie bewundern. Machen Sie sich bereit!
Na, was ist? Worauf warten Sie noch?
»Los, Flocke, antworte ihr – schreib irgendwas!«, schrie Tannenberg.
»Aber was denn?«
Er blickte zur Decke, während er nervös mit den Fingern schnipste. »Weiß nicht, verdammt.«
»Chef, Sie diktieren und ich schreib’s hin.«
»Okay. Schreib: Wie sollen wir aktiv werden, wie sollen wir uns organisieren – übers Internet?«
Nein, nicht organisieren, nur informieren – in einem ersten Schritt. Aber achten Sie dabei streng auf Ihre Anonymität. Es existieren weitaus effektivere Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu finden. In jeder Stadt gibt es historische Vereine und Institute, z.B. an Universitäten, an Volkshochschulen. Sie müssen nur etwas Geduld aufbringen und suchen. Irgendwann werden Sie dort auf jemanden aus unserer Organisation treffen.
»Schreib: Wie erkenne ich diese Person?«
Sie brauchen sie nicht zu erkennen, sie wird Sie erkennen.
»Schreib: Wer seid ihr? Wie viele seid ihr?«
Wir sind viele – und werden immer mehr! Wir gehören zur Elite unseres Volkes. Wir sind ein sehr gut organisiertes Netzwerk. Wir haben alles, was wir brauchen, um unsere Mission zu erfüllen: Intelligenz, Geld, Macht und Mut. Einige von uns sind Politiker, andere Richter, wieder andere Spitzenmanager, Ärzte, Juristen oder Professoren. Und alle sind wir brave Familienväter, gewissenhafte Beamte, ehrliche Steuerzahler. Man kann uns
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