Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
schaute den Kriminalbeamten fragend an. »Das können Sie einfach nicht glauben.« Nach einer kurzen Pause ergänzte er kopfschüttelnd. »Nein, und nochmals nein! Für jeden dieser Leute lege ich meine Hand ins Feuer.«
Arme Hand, dachte Tannenberg, während sich sein Gesprächspartner erhob und kopfschüttelnd zum Kühlschrank ging. Verdammt nochmal, hat der diese Verblüffung eben nur gespielt oder ist die echt gewesen? Ich werde einfach den Verdacht nicht los, dass die hier alle unter einer Decke stecken. Vielleicht haben die mir alle nur Theater vorgespielt. Vielleicht ist das Ganze eine grandiose Inszenierung, vielleicht sogar am Ende noch Teil einer makabren Kunstperformance, wie dieses komische Krimi-Event in Johanniskreuz.
Plötzlich erinnerte er sich an seine Kopfverletzung, die er ganz vergessen hatte. Er fasste sich mit der Hand ins Genick, tastete nach dem Pflaster. Die ganze Zeit über hatte er keine Schmerzen verspürt, doch mit einem Mal waren sie wieder da. Um sich davon abzulenken, wandte er sich wieder an den hageren Mann, der inzwischen zwei Wassergläser auf seinem Schreibtisch abgestellt hatte und sie nun befüllte.
Tannenberg bedankte sich mit einem Nicken und leerte das halbe Glas in einem Zug. »Herr Dr. Weißmann, könnte ich mir bitte mal die Räumlichkeiten Ihres Vereins anschauen?«, bat er anschließend.
Der Institutsleiter zögerte einen Augenblick. Offensichtlich um Zeit zu gewinnen, trank er ebenfalls einen großen Schluck Wasser. Dann leuchtete sein Gesicht auf und er antwortete: »Aber selbstverständlich, Herr Hauptkommissar. Wir sind schließlich ein gemeinnütziger Verein und haben nicht das Geringste zu verbergen. Weder vor dem Finanzamt, noch vor der Kriminalpolizei.«
»Schön«, versetzte Tannenberg müde und erhob sich. In seiner Hosentasche machte sich ein Handy bemerkbar, allerdings mit einer fremdartigen Klingelmelodie. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass er nicht sein eigenes Handy, sondern das seiner Sekretärin mit sich führte. »Entschuldigung«, sagte er und verließ das Büro.
»Was gibt’s Flocke?« Brummend hörte er sich die Neuigkeiten an. »Gut, ich ruf sie gleich an.« Er kehrte in Dr. Weißmanns Dienstzimmer zurück. »Kann ich hier irgendwo ungestört von einem Festnetzanschluss aus telefonieren?«, fragte er und unterbreitete sogleich einen eigenen Vorschlag: »Vielleicht in Frau von Hohenecks Büro?«
Der Institutsleiter zuckte mit den Schultern. »Ja, warum nicht. Die Tür ist bestimmt offen. Johanna schließt meines Wissens nie ab.«
»Danke. Ich bin auch bald wieder bei Ihnen.«
Als der Ermittler das Arbeitszimmer der Historikerin betrat, umkrampfte Wehmut sein Herz. Doch bis auf eine schmerzlich-schöne Erinnerung an das erste Zusammentreffen mit Hanne hier im Institut gestattete er sich keine weiteren Sentimentalitäten. Dafür waren die Informationen, die er gerade in Kurzfassung erhalten hatte, viel zu brisant und spektakulär. Er ließ sich auf den Ledersessel fallen, schaltete den Computer ein und griff nach dem Telefonhörer.
»Verdammter Mist!«, schimpfte er, als der Monitor nach einem Passwort verlangte.
Bereits ein paar Minuten später geleitete Dr. Weißmann seinen Besucher zu einem im Erdgeschoss befindlichen, bibliotheksähnlichen Raum. Zu Tannenbergs großem Erstaunen traf er dort auf Winfried Klemens, den Mann, mit dem Johanna von Hoheneck gestern Morgen einen kleinen Disput hatte und der ihm am gestrigen Abend in Johanniskreuz begegnet war.
Der circa 65-jährige Mann saß an einem der beiden Computertische und wollte zunächst keine Notiz von den beiden Störenfrieden nehmen. Erst nach einer Weile warf er einen kurzen, mürrischen Blick zu ihnen herüber. Gleich darauf vertiefte er sich wieder in seine Arbeit.
»Guten Tag, Herr Klemens, darf ich fragen, was Sie da gerade tun?«
»Darf ich fragen, was Sie das angeht?«, giftete der Hobbyhistoriker ohne die Augen vom Bildschirm zu entfernen.
»Ja, da haben Sie eigentlich recht. Es geht mich wirklich nichts an. Manchmal bin ich einfach zu neugierig. Entschuldigung, tut mir leid«, mimte Tannenberg den Zerknirschten. Er kratzte sich verlegen am Hals, schien unsicher zu sein, wie er sich nun verhalten sollte. Doch dann wirbelte er zu Dr. Weißmann herum. »Wissen Sie zufällig, womit sich Ihr Vereinskollege Herr Klemens gerade beschäftigt?«
»Nee, keine Ahnung.«
»Gestern Morgen jedenfalls suchte er nach einer Chronik mit den Ratsprotokollen aus der Zeit des
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