Jan Fabel 01 - Blutadler
gekrönt sind, erheben sich mit überwältigendem Selbstbewusstsein aus dem Hafen. Zwischen den Lagerhäusern ziehen sich schmale Straßen und Kanäle hindurch, und Galerien, oft auf der vierten Etage, verbinden ein Gebäude mit dem anderen.
Die Speicherstadt ist der größte Freihafen der Erde: Millionen Tonnen Kaffee, Tee, Tabak und Gewürze werden auf 330000 Quadratmetern gelagert, dazu Güter wie Computer, Pharmazeutika oder Möbel. In jüngerer Vergangenheit haben sich Antiquitätenhändler dazugesellt und ihre Geschäfte neben den früheren Kontoren von Handelsunternehmen eröffnet. Außerdem betreiben inzwischen einige Kaffeefirmen zusätzlich Cafés für das allgemeine Publikum. Aber insgesamt ist dieser Komplex immer noch ein typischer Bestandteil einer der weltweit größten Hafenstädte.
Fabel parkte in der Deichstraße außerhalb der Speicherstadt. Er zog seine Walther P99 aus dem Halfter, überprüfte das Magazin und schob es mit dem Handballen zurück, bevor er die Waffe wieder ins Halfter steckte. Dann stieg er aus dem BMW und ging zu Fuß weiter. Die Turmspitzen der St. Katharinenkirche und der St. Nikolaikirche ragten hinter ihm in den Himmel, während er die Kornhausbrücke über den schmalen Zollkanal hinweg überquerte. Er schaute den Kanal entlang, der von den roten Backsteinfassaden der riesigen Lagerhäuser gesäumt wird. Die Sonne stand nun niedrig und vertiefte das üppige Rot der Backsteine. Fabel verspürte ein äußerst ungutes Gefühl in der Brust. Er ließ den Kontrollpunkt hinter sich und schritt auf das St. Annenufer zu. Nachdem er zweimal abgebogen war, erreichte er die enge, mit Kopfstein gepflasterte Straße, die Mahmoot am Telefon erwähnt hatte.
In der Speicherstadt war es dunkler als in der Umgebung. Die Sonne stand nun so niedrig, dass ihr die massiven neugotischen Kommerzkathedralen den Zutritt verwehrten. Auf dieser Straße gab es keine ebenerdigen Büros oder Cafés, und die Fenster der Lagerhäuser waren dunkel und leer. Fabel hörte seine Schritte in der Straße widerhallen. Beinahe hätte er die Nummer verpasst, die Mahmoot ihm genannt hatte. Auf einem kleinen Schild stand »Klimenko International«. Eine große, gewölbte Doppeltür führte in das Gebäude, dessen Erdgeschoss fensterlos war. Fabel drehte den aus einem eisernen Ring bestehenden Griff und drückte gegen die Tür. Sie war unverschlossen. Er betrat eine riesige Lagerhausfläche, deren Stützpfeiler aus Ziegel und Eisen das Gewicht der oberen Etage trugen. Der Raum war vom Boden bis zur Decke fast neun Meter hoch, und Fabel schätzte die Fläche auf vierhundert Quadratmeter. Das gesamte Lagerhaus war offenbar leer, abgesehen von einer erhöhten Bürokabine am anderen Ende. Nur eine der zahlreichen von der Decke hängenden Neonröhren war eingeschaltet. Die verglasten Torbögen gleichenden Fenster an der gegenüberliegenden Seite starrten vor Schmutz, sodass nur ein trübes, orangefarbenes Glühen von draußen hereindrang. Fabel schrak zusammen, als die Tür hinter ihm zuschlug und das Dröhnen in der Weite des Lagerhauses widerhallte. Wenn jemand hier war, hatte Fabel ihm sein Eintreffen gerade angekündigt.
Er zog seine Walther und schob den Schlitten zurück. Dann schaute er sich im Lagerhaus um und suchte die Pfeiler nach der Spur einer Bewegung ab. Allerdings waren sie so schmal, dass man sich kaum hinter ihnen verbergen konnte. Wenn jemand anwesend war, dann wohl in dem Bürocontainer oder dahinter. Fabel schob sich dicht an der Wand nach rechts, um sich nicht die geringste Blöße zu geben, und streckte seine Pistole auf Augenhöhe vor, wobei er seine rechte Hand mit der linken stützte. Er bewegte sich langsam weiter, bis er auf der Höhe der Bürokabine war, und machte einen raschen Schritt zur Seite, um in die Kabine hineinschauen zu können. Niemand war zu sehen. Er senkte seine Arme ein wenig und lief hinüber zur Kabine. Dort lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand. Das Mauerwerk, auf dem die Kabine ruhte, reichte ihm bis zur Hüfte, weshalb sein Kopf knapp über Bodenhöhe des Containers sein musste. Er legte das Ohr an die Wand, konnte jedoch nichts hören. Vorsichtig arbeitete er sich zu den Stufen vor und stieg behutsam hinauf, wobei er seine Automatik auf die Tür richtete. Im Innern war es weiterhin still. Gerade hatte er die Hand auf den Türgriff gelegt, als er eine kalte, harte Pistolenmündung im Genick spürte.
»Bitte, Herr Fabel. Keinen Ärger.« Es war eine Frauenstimme mit
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