Jan Fabel 01 - Blutadler
komplett gelöscht und wahrscheinlich auch Akten aus ihrer Wohnung entfernt.«
Der Ukrainer sah Fabel mit unbewegter Miene an und strich sich über die weißen Stoppeln auf seinem Kopf. Dann fuhr er mit schwerem Akzent in seinem grammatisch ausgefeilten Deutsch fort: »Hier ist noch ein drittes Element im Spiel. Und Sie wissen darüber zumindest das eine oder andere.« Er unterbrach sich ein paar Sekunden lang, um die Bedeutung seiner nächsten Worte zu unterstreichen. »Der Strohmann für das Geschäft war Pawlo Klimenko, der vermeintliche Leiter des Konsortiums. In Wirklichkeit ist Klimenko ein SBU-Offizier mit einer eindrucksvollen Militärlaufbahn. Aber zum Unglück für die Drahtzieher dieses Unternehmens waren schon seit einiger Zeit andere Kräfte aktiv. Sie kennen den Namen Wassyl Witrenko?«
Fabel nickte. »Er soll das Oberhaupt einer ukrainischen Verbrecherbande sein. Einer neuen Bande, die alle anderen in der Stadt verdrängt.«
»Wassyl Witrenko ist ... war Oberst im Berkut. Seine Arbeit hat ihm viele Bewunderer eingebracht, aber andere halten ihn für ein Ungeheuer. Für den Teufel. Früher einmal hatte ich den Auftrag, Witrenko zu finden und seinen schlimmsten Übergriffen ein Ende zu setzen. Er hat rund zehn seiner ihm damals unterstellten Offiziere - Männer, die unter seinem Kommando in Tschetschenien oder Afghanistan oder in beiden Ländern dienten - um sich versammelt. Jeder von ihnen ist für seinen unglaublichen Mut und seine außergewöhnliche Brutalität bekannt. Und jeder steht in unerschütterlicher Treue zu Witrenko. Außerdem hat Witrenko ihnen versprochen, sie alle zu Millionären zu machen. Und er ist nicht weit davon entfernt, das Versprechen zu erfüllen. Einer der Offiziere war Major Pawlo Klimenko.«
»Also hat Witrenko Ihnen Ihr dreckiges kleines Geschäft vor der Nase weggeschnappt?« Fabel lachte bitter.
Die grünen Augen des Slawen funkelten im künstlichen Licht des Containers. »Das ist richtig, Herr Hauptkommissar. Aber bevor Sie zu selbstgefällig werden, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass auch Ihre Regierung zu zweifelhaften Aktionen fähig ist. Was war das Ziel der Operation, für die der unglückliche Herr Klugmann eingesetzt wurde?«
»Darüber bin ich nicht bereit, mit Ihnen zu sprechen.«
»Na schön, Herr Hauptkommissar. Erlauben Sie mir, die Frage selbst zu beantworten. Sie meinen, dass Herr Klugmann Informationen über die Aktivitäten von Wassyl Witrenko und seiner Mannschaft sammeln sollte. Richtig?« Fabel hob die Schultern und nickte.
»Durchaus nicht. Herr Klugmann hatte nur ein einziges Ziel: mit Wassyl Witrenko Kontakt aufzunehmen und mit ihm zu verhandeln. Klugmann war vom BND beauftragt worden, ihm ein Angebot zu machen. Obwohl Ihre Regierung über Witrenkos mörderische Vergangenheit und seine kriminelle Gegenwart Bescheid weiß, ist sie bereit, ihm Straffreiheit und ein lukratives Geschäft anzubieten.«
»Warum in aller Welt sollte die deutsche Bundesregierung mit einem bekannten internationalen Verbrecher Geschäfte machen?«
»Wegen des 11. September 2001.«
»Bitte?«
»Acht der zehn Attentäter, die den Selbstmordangriff auf das World Trade Center in New York durchführten, wohnten kurz davor in Hamburg oder waren in der Stadt zu Besuch. Das hat sowohl die Landes- als auch die Bundesregierung in erhebliche Verlegenheit gebracht.
Kurz, ihr Deutschen würdet tun, was ihr könnt, um den Amerikanern zu helfen. Und die Amerikaner brauchen so viel Unterstützung wie möglich. Wassyl Witrenko ist ein äußerst intelligenter und gebildeter Mann; außerdem gilt er als führender Experte für Afghanistan und den islamischen Terrorismus. Die CIA hat den BND wissen lassen, dass sie sehr dankbar wäre, wenn er Witrenko für sie an Land ziehen könnte. Ihr Kollege Klugmann hatte den Auftrag, mit ihm Verhandlungen aufzunehmen. Die Wohnung, in der das zweite Opfer ermordet wurde, sollte als Treffpunkt für diese Gespräche dienen.«
Fabel musterte den Ukrainer und dann die blonde Frau. Es wäre nicht das erste Mal, dass Zweckmäßigkeit und das Gebot des »allgemeinen Nutzens« die Herrschaft des Gesetzes überrollt hätten. Der Slawe beobachtete Fabel ausdruckslos und ließ ihm Zeit, über seine Antwort nachzudenken. Schließlich erwiderte Fabel: »Aber Klugmann hatte nur zu einem einzigen Mitglied der neuen ukrainischen Bande Kontakt, nämlich zu jemandem, der ›Vadim‹ heißt. Andere Verbindungen gab es nicht.«
»Das stimmt nicht. Sie müssen
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