Jan Fabel 01 - Blutadler
Witrenko nicht eindeutig dieser Morde überführen können, zumal die ukrainische Polizei glaubt, den Täter bereits gefasst zu haben. Immerhin gibt es ein potenzielles Motiv. Anscheinend besaßen wenigstens zwei der Opfer gewisse und möglicherweise sehr nachteilige Kenntnisse über gewaltige Grundstücksschiebereien, in die unsere Freunde, die Eitels, und einige ihrer ukrainischen Partner verwickelt sind. Maria?«
Maria Klee zog ihre Notizen hervor und blätterte sie durch. Sie begann zu sprechen, aber die Müdigkeit hatte ihre Kehle rau werden lassen, und sie hüstelte, bevor sie erneut ansetzte. »Ich habe mit der ukrainischen Polizei in Kiew, dem Berkut und dem Geheimdienst SPU gesprochen. Wie ich erwartet hatte, war die SPU nicht sehr entgegenkommend, aber die Polizei hat mir einiges über die Morde in Kiew mitgeteilt. Sie glaubt, es mit einem Nachahmungstäter zu tun zu haben, denn wie Hauptkommissar Fabel bereits sagte, ist sie überzeugt, den Täter erwischt zu haben.« Sie schaute erneut auf ihre Notizen. »Einen gewissen Wladimir Gera ...« Maria hatte Mühe, den Namen auszusprechen. »Wladimir Gerassimenko. Anscheinend war er ein intelligenter Mann, der seine Fähigkeiten nicht ausleben konnte und in der Eisenbahnverwaltung arbeitete. Es gab drei Opfer. Zwei davon wurden, wie man feststellte, im Rahmen irgendeiner Zeremonie geopfert. Man vermutet, dass noch andere an den Ritualen mitgewirkt haben, aber Gerassimenko wurde wegen des dritten Mordes verurteilt.«
»An der Journalistin?«, fragte Fabel.
»Ja. Und in ihrer eigenen Wohnung.«
»Genau wie bei Angelika Blüm.« Fabel hob das Offensichtliche hervor, doch seine Stimme war matt. »Können wir vielleicht jemanden in die Ukraine schicken, um diesen Mann zu vernehmen? Wie heißt er noch?«
»Gerassimenko«, antwortete Maria. »Das geht leider nicht mehr. Die Ukraine hat 1997 ein Moratorium über die Todesstrafe unterzeichnet und sie im Jahr 2000 abgeschafft. Gerassimenko wurde bereits 1996 hingerichtet.«
Fabel seufzte. »Was hast du noch herausgefunden?«
»Tja, der alte Mann - Witrenkos Vater - arbeitet nicht mehr für die ukrainischen Sicherheitskräfte. Ich habe mit jemandem vom Innenministerium gesprochen - es war der Einzige, den sie aus dem Bert holen wollten -, und er meinte, Major Stepan Witrenko sei vor Jahren aus dem Berkut in den Ruhestand gegangen. Offenbar hat Witrenko senior es zu seiner Mission gemacht, seinen Sohn aufzuspüren. Die Sowjets setzten ihn in Afghanistan auf Wassyl an, und seitdem ist die Sache zu einer fixen Idee für ihn geworden.«
»Das kann ich gut nachempfinden«, warf Fabel ein.
»Ich muss hinzufügen«, fuhr Maria fort, »dass die Ukrainer Witrenkos Verschwinden nur deshalb eine größere Bedeutung beimessen, weil er Spezialist für die Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen ist. In den Augen der Ukrainer ist die Desertion sein einziges Vergehen.«
»Und was ist mit diesem Berkut?«, fragte Fabel.
»Im Wesentlichen dient er als Überfallkommando und jederzeit einsetzbarer Anti-Terror-Verband. Amnesty International hat Bedenken gegen sein Vorgehen geäußert. Er untersteht dem ukrainischen Innenministerium. Nach meinen Informationen ging Witrenkos Auftrag weit über den gewohnten Handlungsbereich des Berkut hinaus. Er war ein Aufsteiger mit Fachkenntnissen, die sich auf zivile, politische und terroristische Verbrechen erstreckten. Die Ukraine hat große Probleme mit der organisierten Kriminalität, und es gibt starke Spannungen zwischen der russischen Minderheit und der ukrainischen Mehrheit. Daneben hat sie wahrscheinlich die größte Zahl von Serienmördern auf der Welt. Deshalb ist sie führend beim Aufspüren solcher Täter.«
Fabel rieb sich seinen 24-Stunden-Bart. »Wenn Witrenkos Vater eine persönliche Mission erfüllt, was hat dann die junge Frau bei ihm zu suchen? Warum ist sie bei ihm?«
»Ich glaube, dass ich eine Antwort habe«, meinte Maria und stöberte wieder in ihren Notizen. »Vermutlich ist sie Leutnant Martina Onopenko. Bis vor kurzem war sie bei der Kiewer Polizei.«
»Als Detektivin?«
»Nein, sie war bei den Uniformierten. Aber sie hat auch einige Militärerfahrung. Außerdem ist sie die jüngere Schwester der Journalistin, die ermordet wurde. Wie der alte Mann hat sie keinen Zweifel daran, dass in Wirklichkeit Witrenko für die Ermordung ihrer Schwester verantwortlich ist. Sie reichte ihre Kündigung ein, als die Polizei sich weigerte, den Fall wieder
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