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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Hinweise geliefert. Wichtiger noch, Dorn kannte den Namen des Wikingerkönigs, der Inge den Älteren ablöste, nachdem sich dieser geweigert hatte, in Uppsala das neunfache Opfer abzuhalten. Fabel zog eine Fotokopie zwischen den Papieren hervor und heftete sie direkt neben Witrenkos Bild an die Ereignistafel. Die Fotokopie zeigte einen Kupferstich aus dem neunzehnten Jahrhundert: Ein unglaublich breitschultriger Krieger saß auf einem feurigen Ross. Er hatte lange Haare, einen mächtigen Schnurrbart und einen geflochtenen, mit Perlen geschmückten Kinnbart. Über seinem Kettenhemd und den ungleichen Schultern lag ein enormer Fellumhang. Auf dem Kopf trug er einen Helm mit Adlerschwingen.
    »Das ist Wassyl Witrenkos wahrer Vater«, erklärte Fabel. »Nicht der Ukrainer, der ihn verfolgt. Jedenfalls vermute ich, dass Witrenko die Dinge so sieht.« Er wartete, bis das plötzliche Stimmengewirr, das von Gelächter durchsetzt war, verklang. »Überhaupt handelt es sich vorläufig um meine eigenen Mutmaßungen. Morgen - ich meine, im Laufe des Tages - werde ich die Sache mit Frau Dr. Eckhardt besprechen. Aber das hier, meine Damen und Herren, ist Sven. Wie ›Son of Sven‹. Sein voller Name ist Blot-Sven, das heißt Blut-Sven oder auch Opfer-Sven, je nach Interpretation. Zwischen 1084 und 1087 war er König von Schweden. Sein Halbbruder, König Inge der Ältere, trat zum Christentum über und weigerte sich, im Tempel von Uppsala heidnische Opferrituale vollziehen zu lassen. Aber Sven führte die Opferzeremonien durch und erhielt so seinen Namen. Inge floh nach Västergötland, und Blot-Sven wurde König von Schweden oder Svealand. Nun werdet ihr vielleicht fragen, worin die Verbindung zwischen einem ukrainischen Wahnsinnigen und den Wikingern besteht.« 
    Fabel heftete eine zweite, ähnlich heroische Illustration neben die von Blot-Sven. »Dieser Herr ist Rjurik, der erste Großfürst von Kiew. Rjurik war angeblich ein Waräger aus Jütland oder auch aus Frisia oder Friesland, wie es heute heißt. Die Krieger, die Nowgorod und Kiew unter seiner Führung eroberten, nannten sich Rus oder ›Ruderer‹. Von ihnen hat Russland seinen Namen. Die Slawen der heutigen Ukraine und des heutigen Russland lebten damals in Anarchie und luden, so unglaublich es klingen mag, Rjurik und seinen Bruder ein, in ihrem Land Ordnung zu schaffen. Die gleiche Geschichte wird über die Sachsen in England erzählt. In ihrem Fall hießen die Brüder Hengist und Horsa. Der entscheidende Punkt ist, dass Rjurik und seine Männer Außenseiter waren, die ein fremdes Land unterjochten. Ihre Loyalität galt ausschließlich ihren Kameraden, und ihr Lohn war Reichtum und Erfolg. Sie wurden zur Elite dieses neuen Landes und zu den Begründern des russischen und ukrainischen Adels. Witrenko und seine Männer sind hier auf das Gleiche aus, und er verbrämt das alles mit dem halb mythischen Begriff der Waffenbruderschaft und mit einem geheimnisvollen Wikingerritual.«
    »Was für ein Blödsinn!«, rief Werner. »Die können doch nicht glauben, dass sie eine Bande Wikinger sind, die ein neues Land besetzen.«
    »Was heißt Blödsinn? Das lässt sich über jede Religion und jedes Glaubenssystem sagen, wenn man sie von außen betrachtet. Nicht, was man glaubt, spielt eine Rolle, sondern auf den Akt des Glaubens kommt es an - egal, wie seltsam oder extrem er anderen erscheinen mag. Das ist der Grund dafür, warum ansonsten normale junge Männer mit Flugzeugen in Gebäude voller Menschen jagen.«
    Werner schüttelte den Kopf. Nicht, weil er anderer Meinung gewesen wäre, sondern in trauriger Verwirrung. Fabel fuhr fort: »Ich habe keine Ahnung, ob Witrenko wirklich von Anfang an all das Zeug glaubte oder ob er den Mythos benutzte, um seine Untergebenen zu manipulieren. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er mittlerweile daran glaubt.« Er dachte an das Ende seines Gesprächs mit dem alten ukrainischen Soldaten. Dessen kräftige Schultern waren heruntergesackt, als er von dem Kind Wassyl erzählte. Von dem blassen Jungen mit den Augen seines Vaters, der so viel versprechende Fähigkeiten besaß und schon früh eine unstillbare Grausamkeit hatte erkennen lassen. Andere Kinder waren von ihm gezwungen oder überredet worden, zuerst kleine Tiere und dann einander zu quälen. Fabel nahm den Faden wieder auf. »Außerdem bin ich sicher, dass Witrenko schon immer ein Psychopath gewesen ist. Aber er wurde nicht behandelt, sondern von den Sowjets auf elitäre

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