Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
Vom Netzwerk:
einem flackernden grünen Licht. Fabel schnürte eine plötzliche Furcht die Brust noch fester zu, als er bemerkte, dass die beiden dicken Drähte, die sich aus der Box schlängelten, die gleichen waren wie die, mit denen man den Ukrainer an den Pfeiler gefesselt hatte. Sein ganzer Körper war mit der Mine verbunden, und das flackernde grüne Licht der Box ließ vermuten, dass es sich um eine Zeitzündung handelte. Wieder machte der Gefesselte flehende Bewegungen mit Kopf und Augen, als wolle er Fabels Aufmerksamkeit auf die Lagerhaustür lenken.
    Fabels Stimme brach sich. »Ich kann ... kann Sie nicht hier lassen.« 
    Etwas wie Ruhe - und eine stille Resignation - schien in die grünen Augen des Ukrainers zurückzukehren. Er neigte den Kopf ganz leicht zu einer Geste der Befreiung. So befreite er Fabel vom Tod, und so befreite er sich selbst von einem kummervollen Leben.
    »Ich hole Hilfe«, sagte Fabel, obwohl beide wussten, dass der alte Mann jeglicher Hilfe entrückt war. Fabel wich zurück und behielt ihn so lange wie möglich im Auge, bevor er sich umdrehte und durch die leere Weite des Lagerhauses zur Tür sprintete. Zum Leben.
    Er jagte mit solcher Wucht hinaus auf den schmalen Bürgersteig vor dem Gebäude, dass er nur durch ein Geländer daran gehindert wurde, in den Kanal zu stürzen. Seine Füße rutschten und kratzten auf den Kopfsteinen, als er an der Mauer des benachbarten Lagerhauses entlanglief. Dann hockte er sich auf die Kopfsteine, presste den Rücken an die roten Ziegel und wartete auf das, was kommen musste.
    Ein Donnern ertönte aus der Tiefe des Lagerhauses, als hätte eine gigantische Faust auf das Gebäude eingeschlagen. Fabel spürte, wie eine Schockwelle durch die Mauer in seinem Rücken und den Boden unter ihm fegte. Die schwere Tür des Lagerhauses wurde aus den Angeln gerissen, und die Fenster im zweiten Stock explodierten zu einem Schauer aus glänzenden Splittern. Fabel ließ sich zur Seite fallen, legte die Hände über den Kopf und zog die Knie wie ein Fötus an die Brust. Eine Woge aus weißen und roten Flammen ergoss sich durch die zerschmetterte Tür und die leeren Fenster und zog sich dann zurück wie ein wütendes Tier, das sich knurrend in seine Höhle flüchtet. Die Luft war von einem erstickenden Pulver aus Ziegelstaub, Rauch und Schmutz erfüllt. Nach der überwältigenden Gewalt der Explosion schien die Welt still und ruhig geworden zu sein. Dann schrillte der Alarm aller benachbarten Lagerhäuser. Fabel richtete sich auf und blieb, wie er glaubte, eine Ewigkeit lang regungslos sitzen. Er kniff die Lider zusammen, doch er konnte das Feuer in den grünen Augen eines toten alten Mannes, das sich in seinem Gehirn eingebrannt hatte, nicht löschen. Dieselben Augen waren auf Fabel gerichtet gewesen, als der Ukrainer ihm in Angelika Blüms Wohnung das Bewusstsein aus dem Körper gequetscht hatte. Diese Augen hatten ihn auch von der Verpflichtung entbunden, bei dem Ukrainer zu bleiben. Und diese Augen waren es gewesen, die anderthalb Jahrzehnte zuvor das entsetzliche Werk des eigenen Sohnes betrachtet hatten. 
    In der Ferne hörte Fabel das lauter werdende Heulen der Sirenen, die sich der Speicherstadt näherten. Er drückte die Handflächen an die Mauer und stemmte sich hoch. Staub war in seine Nase und seinen Mund gedrungen, und er hustete, um seine Kehle freizumachen. Er schmiegte sich an die Wand, als würde er sonst von dem Wirbel aus Staub und Dunkelheit verschluckt werden. Dann schloss er die Augen und sah wieder den Horror vor sich, den Wassyl Witrenko mit Fleisch und Blut im Lagerhaus geschaffen hatte. Er sah den alten Mann, der, an einen Pfeiler gebunden, das Entsetzen und die Schreie einer jungen Frau, die vor ihm aufgeschlitzt und ausgeweidet wurde, ertragen musste. Es war Witrenkos Meisterwerk gewesen. Und Fabel hatte es begutachten müssen. In Fabel stieg der Verdacht hoch, dass Witrenko von der Verabredung gewusst und sein Überleben geplant hatte. Alles war perfekt organisiert gewesen. Fabel hatte Witrenkos Meisterwerk betrachten können und keine Chance gehabt, den alten Mann vor dem unausweichlichen Tod zu retten. Nachdem er dies erkannt hatte, war es ihm möglich gewesen, sich in Sicherheit zu bringen. Auf diese Weise hatte Witrenko zwei Bilder in Fabels Gehirn eingepflanzt, die ihn für den Rest seines Lebens verfolgen würden: das des abgeschlachteten Mädchens und das der Ergebenheit des alten Mannes gegenüber dem Tod. Doch dann hatte Witrenko die Bilder

Weitere Kostenlose Bücher