Jan Fabel 01 - Blutadler
Stümbke vom letzten Jahr gelesen.« Die beiden Männer schüttelten einander die Hand.
»Und Innensenator Ganz ...«, fuhr van Heiden fort.
Ganz reichte Fabel ebenfalls die Hand, doch sein rosiges Gesicht verzog sich zu keinem Lächeln. »Eine fürchterliche Sache, Herr Kriminalkommissar«, sagte er und degradierte Fabel um mehrere Ränge.
»Ich hoffe, dass Sie alle verfügbaren Mittel einsetzen, um die Angelegenheit aufzuklären.«
»Erster Kriminalhauptkommissar«, korrigierte ihn Fabel. »Und es versteht sich von selbst, Herr Senator, dass wir alles in unserer Kraft Stehende tun, um den Mörder zu fassen.«
»Sie wissen bestimmt, dass die Presse die öffentliche Unruhe fast bis zur Raserei aufgepeitscht hat.« Die Gestalt am Fenster wandte sich nun endlich um. Der schlanke, breitschultrige Mann von Anfang fünfzig hatte lebhafte blaue Augen und ein schmales, intelligentes Gesicht mit tiefen vertikalen Furchen. Sein blondes Haar war grau meliert und meisterhaft geschnitten. Das tiefblaue Hemd, so vermutete Fabel, stammte wahrscheinlich aus einem der teuren Geschäfte in der Londoner Jermyn Street. Der Anzug war augenscheinlich ein italienisches Produkt. Insgesamt deutete die Garderobe eher auf Stil und Geschmack als auf Protzerei hin. Fabel war dem Mann noch nie persönlich begegnet. aber natürlich erkannte er ihn sofort. Schließlich hatte er ihn gewählt.
»Ja, Herr Erster Bürgermeister, das ist mir nicht entgangen.« Fabel drehte seinen Ledersessel um, bis er dem Hamburger Regierungschef, Dr. Hans Schreiber, ins Gesicht sah.
Schreiber lächelte. »Sie sind also der englische Kommissar?«
»Ja, aber die Bezeichnung stimmt nicht.«
»Sie sind kein Engländer?«
»Nein. Ich kann guten Gewissens sagen, dass ich keinen Tropfen englischen Blutes in meinen Adern habe. Meine Mutter ist Schottin, mein Vater war Friese. In meiner Kindheit wohnten wir eine Weile in England. Dort habe ich einen Teil meiner Ausbildung erhalten. Warum fragen Sie?«
»Einfach aus Neugier. Ich bin natürlich auch anglophil. Nicht umsonst heißt es, Hamburg sei ›die britischste Stadt außerhalb des Vereinigten Königreichs‹. Jedenfalls finde ich es interessant, dass man Sie den englischen Kommissar nennt. Das gibt Ihnen eine besondere Note. Sehen Sie sich als etwas Besonderes, Herr Fabel?«
Fabel hob die Schultern. Er hielt dieses Gespräch für sinnlos, und der persönliche Beiklang irritierte ihn. Dabei hatte er tatsächlich das Gefühl, anders zu sein. Sein ganzes Leben lang war er sich des nicht deutschen Anteils seiner Persönlichkeit bewusst gewesen. Dieser Umstand erbitterte ihn und war ihm gleichzeitig kostbar.
Schreiber schien Fabels wachsendes Unbehagen zu spüren. »Entschuldigen Sie, Herr Fabel, ich wollte nicht auf private Details eingehen. Aber ich habe Ihre Personalakte gelesen, und es steht fest, dass Sie ein außergewöhnlicher Beamter sind. Ich glaube, Sie sind wirklich anders. Sie haben einen Vorteil, eine zusätzliche Perspektive, die den meisten fehlt. Deshalb sind Sie für mich der Mann, der diesem Ungeheuer das Handwerk legen wird.«
»Ich habe keine Wahl«, sagte Fabel und erklärte, wie »Son of Sven« ihn möglicherweise als Nemesis »auserkoren« hatte. Schreiber nickte und runzelte die Stirn, als wäge er selbst die kleinsten Informationen gegeneinander ab, doch Fabel bemerkte, dass der Blick des Bürgermeisters durchs Zimmer schweifte. Dadurch erhielten die verdeckten, lebhaften Augen etwas nahezu Raubtierhaftes. Es war, als wäre sein Geist an mehreren Orten zugleich.
»Ich möchte wissen, Herr Hauptkommissar, ob Sie eine brauchbare Strategie haben«, schaltete sich Innensenator Ganz ein. »Ich hoffe, wir erlauben diesem Wahnsinnigen nicht, unsere Aktionen zu bestimmen. Wir müssen die Initiative ergreifen.«
Fabel wollte gerade antworten, als Schreiber ihm zuvorkam. »Ich habe vollstes Vertrauen zu Herrn Fabel, Hugo. Und ich halte es nicht für hilfreich, wenn wir Politiker der Polizei diktieren, wie sie ihre Arbeit zu erledigen hat.«
Ganz' rosige Wangen röteten sich noch mehr. Es konnte keinen Zweifel daran geben, wer hier das Sagen hatte. Aber obwohl Schreiber genau die richtigen Worte gefunden hatte, war sich Fabel seltsamerweise nicht ganz sicher, ob der Erste Bürgermeister ihm tatsächlich Vertrauen schenkte oder ob er seinerseits Vertrauen zu Schreiber hatte.
Van Heiden beendete die peinlich werdende Stille. »Vielleicht wäre es jetzt ein guter Zeitpunkt für
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