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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Glaube an Mythen kann, wie Sie schon betont haben, mächtig und zerstörerisch sein.«
    Dorn griff rasch nach der Zeitung und warf sie Fabel zu. »Und er glaubt daran.«
    »Was?« Fabels Verwirrung war vollkommen. »Wer denn?«
    »Ihr Mörder. Jedes Mal, wenn er auf diese Weise tötet, liefert er einen Hinweis.« Dorn blickte zur Decke hinauf, doch seine Gedanken waren anderswo. »Er hat tausend Jahre überbrückt ... und die Hand in die Dunkelheit der Vergangenheit ausgestreckt, um ein Fragment hervorzuholen, das eine Erklärung für seine Gegenwart enthält. Es wäre verblüffend, wäre es nicht so Ekel erregend.« Dorn tauchte aus seinen Gedanken auf und blickte Fabel erneut an. 
    »Wollen Sie behaupten, dass es eine mythologische oder historische Verbindung zu diesen Morden gibt?«, fragte Fabel.
    »Den Blutadler.« Dorn ließ seinen Besucher nicht aus den Augen.
    »Den was?«
    »Den Blutadler. Ihr Mörder hat keine sexuellen Motive, sondern religiöse. Er bringt Opfer dar.«
    »Opfer? Blutadler? Entschuldigung, Herr Professor, aber wovon zum Teufel reden Sie?«
    »Wie Sie wissen, war dieser Teil Norddeutschlands die Heimat der Skandier oder Goten. Die Sachsen gründeten das Dorf Hamm. Die Franken und die slawischen Obertriten eroberten es und machten es zur Hammaburg. Und dann kamen die Wikinger aus Dänemark. Sehen Sie sich Altona im Herzen des modernen Hamburg an - das war bis ins achtzehnte Jahrhundert eine dänische Stadt. Unser Blut ist das der Wikinger - und anderer natürlich. Die Götter, die man hier anbetete, waren Freya, Baldur, Thor, Loki oder Odin. Diese nordischen Götter sind keineswegs perfekt zu nennen. Sie waren launenhaft, gereizt, neidisch, gierig ... zornig. Der weise Odin, der Göttervater und nordische Zeus, bildete keine Ausnahme. Seine Gunst vor allem war es, um die sich unsere Vorfahren bemühten.« Dorn unterbrach sich. Er griff nach zwei Bänden auf seinem Schreibtisch. »Odin verlangte Opfer. Wie alle Götter. Aber je größer der Gott, desto größer das Opfer. Zum Beispiel schrieb Adam von Bremen in seiner Chronik von einem Fest in Ubsola - oder Uppsala, wie es heute heißt. Dieses Fest wurde alle neun Jahre abgehalten und dauerte neun Tage. Jeder, ob König, Häuptling oder einfacher Bürger, musste Opfergaben schicken. Ein zum Christentum übergetretener Wikingerkönig, nämlich Inge der Ältere, wurde sogar gestürzt, weil er nicht an dem Brauch teilnahm. An jedem der neun Festtage schnitt man neun männlichen Lebewesen - Vieh, Geflügel und Menschen - die Kehle durch und hängte sie kopfüber in dem Hain neben dem Tempel auf. Erstaunlich. Und das alles, weil die Zahl Neun bei der Anbetung Odins irgendeine Bedeutung hatte. Wie auch immer, ich will darauf hinaus, dass Odin Menschenopfer verlangte. Und eine Form, die sie häufig annahmen, war die des Blutadlers.«
    »Was bedeutet das?« Fabel spürte, wie ihm das Adrenalin durch die Adern strömte.
    »Es war eine Opfergabe, die bis zu Odin vordrang. Ein Mensch, dem die Schwingen eines Adlers verliehen wurden.«
    »Und wie genau ging das vor sich?«, fragte Fabel, obwohl er die Antwort bereits kannte.
    Dorn schaute ihm unverwandt in die Augen. »Man holte einen Gefangenen herbei. Vielleicht eine Frau, die bei einem der Wikingerüberfälle entführt worden war. Sie wurde entkleidet und mit ausgestreckten Gliedern gefesselt. Dann nahm Odins Priester ein Breitschwert und schlitzte ihr den gesamten Leib auf.« Fabel merkte, wie sein Herz zu hämmern begann. »Diese Priester hatten das Geschick eines Chirurgen. Sie schlitzten das Opfer auf, angeblich ohne lebenswichtige Organe zu verletzen und ohne es zu töten. Dann rissen sie die Lungenflügel heraus und warfen sie über die Schulter. Die Schwingen des Blutadlers, verstehen Sie? Schwingen, mit denen das Opfer zu Odin fliegen konnte.«
    Fabel starrte Dorn an. Er hatte das Gefühl, sich mitten in einer lautlosen Explosion zu befinden - auf einer Straße, auf der tausend Alarmglocken läuteten. »Das ist als historische Tatsache belegt?«
    »Mehr oder weniger. Wie viel davon faktisch belegt ist, fragt sich natürlich. Die jeweilige Darstellung hing von der Perspektive des Chronisten ab. Die Wikinger wurden mehr als alle anderen Angreifer gefürchtet, und man stellte sie in den Chroniken der Zeit als Dämonen dar.« Dorn blätterte einen der Bände durch. »Die Opfer konnten beiderlei Geschlechts sein. Zum Beispiel habe ich hier einen Bericht über einen englischen Fürsten, der von den

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