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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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lächelte. »Es reicht, um als Gasthistoriker eingestuft zu werden. Es ist eine merkwürdige Vorstellung, im Gefängnis einen Historiker zu haben. Aber dieses hat schließlich eine eigene, sehr spezielle Geschichte. Ich teile meine Zeit zwischen der Vollzugsanstalt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.«
    »Ich meine, es überrascht mich, dass Sie mit Sträflingen zusammenarbeiten wollen, nachdem ...« Fabel merkte, dass er einen Satz begonnen hatte, den er weder beenden wollte noch zu beenden brauchte.
    Dorn verstand, was er sagen wollte, und lächelte. »Für mich lohnt es sich sehr. Einige der Insassen haben einen richtiggehenden Appetit auf Geschichtliches entwickelt. Das hilft ihnen irgendwie, ihre eigene Vorgeschichte zu begreifen. Aber mir ist klar, was Sie meinen. Wahrscheinlich hatte ich einen Hintergedanken, als ich mich um den Posten bewarb. Ich musste Männer verstehen, die Morde verüben, und mit ihnen umgehen. Um, na ja, den Geschehnissen einen Sinn abzugewinnen.«
    »Und ist es dazu gekommen?«
    »Hat es Ihnen geholfen, dass Sie Polizist geworden sind?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob das der Grund war, weshalb ich Polizist geworden bin«, log Fabel erneut. Beide wussten, dass es ihre gemeinsame persönliche Geschichte war, die einen begabten Historiker wie Fabel veranlasst hatte, sich der Mordkommission anzuschließen.
    Dorn hakte nicht nach. »Ich wollte mit Ihnen über Ihren Mordfall sprechen.«
    »Mordfälle«, korrigierte Fabel. »Es hat noch einen gegeben. Die gleiche Methode wie bei Ursula Kastner.«
    »Das ist ja fürchterlich. Aber es bestätigt meine Vermutung. Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.«
    »Fahren Sie bitte fort, Herr Professor.«
    Dorn hob ein neueres Exemplar der Hamburger Morgenpost auf. Sie war auf der Seite mit einem Artikel über den Kastner-Mord aufgeschlagen. »Wie Sie«, sagte Dorn, »bin auch ich dazu getrieben worden, ein Interesse an wahnbedingter Gewalt zu entwickeln, die trotz ihrer Zerstörungswut eine Art verdrehter Kreativität enthalten kann.« Er pochte mit einem Finger auf den Artikel. »Ich glaube, dass hier eine sehr kreative und sehr gefährliche Person am Werk ist, Jan. Jedenfalls ist die Psychose dieses Mannes sehr gut ... begründet. Das scheint mir die beste Bezeichnung dafür zu sein.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    Dorn legte die Zeitung wieder auf seinen Schreibtisch. Er hob die Hand zu einer Geste, mit der er den Zuhörer aufforderte, abzuwarten und ihn seine These entwickeln zu lassen. Es war eine Geste, die Fabel noch aus seiner Studentenzeit vertraut war. »Wer sind wir?«, fragte Dorn. »Was sind wir? Die Deutschen, meine ich?«
    Fabel runzelte die Stirn. »Ich verstehe Sie nicht ...«
    »Der Begriff der deutschen Identität - was ist das?«
    Fabel zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Diese Frage hat Deutschland - und der Welt - mehr Kummer und Zerstörung zugefügt als jede andere.«
    »Ganz richtig«. Dorn nickte. »Der Begriff der deutschen Identität ist ein Mythos. Ein Mythos, den unser kleiner österreichischer Anstreicher zu einer falschen Geschichte ausweitete, bis Deutschland ihm Glauben schenkte. Eine der wichtigsten Lektionen, die ich als Historiker gelernt habe, ist die, dass nur die Gegenwart existiert. Allein die Gegenwart hat eine unveränderliche, kompromisslose Gestalt. Die Vergangenheit ist das, was wir aus ihr machen wollen. Die Geschichte wird von unserer Gegenwart geformt, nicht umgekehrt. Wir haben die letzten beiden Jahrhunderte damit verbracht, unsere Vergangenheit neu zu erfinden, das heißt, unsere Identität neu zu gestalten, obwohl wir gar keine haben. Tatsache ist, dass es keine deutsche Rasse gibt. Wir sind eine Mischung aus Skandiern und Slawen, Kelten, Italiern und Alpenbewohnern - ein Mischmasch, der durch eine Sprache und eine Kultur, nicht durch eine Volkszugehörigkeit geeint wird.«
    »Was soll das? Was hat das mit den Morden zu tun?«
    Dorn lächelte. »Glauben Sie, dass der Gott Tuisto aus deutscher Erde geboren wurde? Und dass er durch seine drei Söhne die drei reinen Stämme der Deutschen zeugte?«
    »Natürlich nicht. Das ist nur ein Mythos.«
    »Glauben Sie an den Gott Wotan? Oder an die nordischen Götter, mit Wotans Pendant Odin an der Spitze?«
    »Nein«, antwortete Fabel. »Das ist nichts als Mythologie. Hören Sie, ich erkenne keine Verbindung zu ...«
    Wiederum hob Dorn die Hand, um Fabel Einhalt zu gebieten. »Es sind tatsächlich Mythen. Unwahrheiten. Aber der

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