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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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könnte.«
    »Er ist also noch im Dienst?«, fragte Werner.
    »Ja. Ich weiß nicht genau, für wen er arbeitet, aber ich habe eine verdammt sichere Ahnung. Egal, wir werden es bald herausfinden ...«
    Niemand sprach oder schien zu bemerken, wie absurd die Situation war: ein Zimmer voller Polizisten, die schweigend dasaßen oder herumstanden, die Spannung fast greifbar, jedes Augenpaar auf das Handy des vermissten Ermittlers konzentriert. Mehrere Minuten vergingen. Dann erfüllte ein elektronisches Trillern das Zimmer. Alle fuhren zusammen.
    Nun war Fabel an der Reihe, stumm zu bleiben, als er das Telefon aufhob und mit dem Daumen auf den Antwortknopf drückte.
    »Hauptkommissar Fabel?«
    Er hatte die zögernde Stimme sofort erkannt, doch Fabel war zu wütend, um höfliche Floskeln von sich zu geben. »Kommen Sie innerhalb einer Stunde in mein Büro. Oberst Volker!«     
    Damit beendete Fabel das Gespräch.
    Fabel hatte nur zwanzig Minuten gebraucht, um die Besprechung im Konferenzzimmer abzuschließen und seinem Team Ermittlungs- und Nachfolgeaufgaben zu erteilen. Nun wartete er in seinem Büro. Er schaltete den Anrufbeantworter seines Telefons ein und ließ Werner und Maria wissen, dass er vor Volkers Eintreffen ein paar Minuten benötige, um sich zu sammeln. Er musste die Gedanken, Fakten und Begriffe, die durch die Enthüllung der Identität des zweiten Opfers durcheinander gebracht worden waren, neu ordnen. Fabel blickte aus dem Fenster über den Winterhuder Stadtpark hinweg, aber er nahm kein Detail in sich auf. Sein Geist war in jener von Yilmaz beschriebenen Schattenwelt, in der die Gesetzeshüter eine Grauzone zwischen dem Legalen und dem Zweckmäßigen besetzen.
    Es ist nicht leicht, Deutscher zu sein. Man trägt das überflüssige Gepäck seiner jüngeren Geschichte mit sich, während andere Europäer relativ unbeschwert reisen. Zehn Jahrhunderte der Kultur und der Leistung waren Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts durch zwölf Jahre, in denen sich das unbeschreiblich Böse durchgesetzt hatte, in den Hintergrund gedrängt worden. Jene zwölf Jahre hatten für die Welt und für die meisten Bürger des Landes den Kern dessen definiert, was es heißt, Deutscher zu sein. Nun konnte man ihnen nicht mehr trauen, und sie selbst konnten einander ebenfalls nie mehr Vertrauen schenken.
    Für jeden Deutschen birgt dieses Misstrauen einen eigenen Aspekt, und es geht eine beunruhigende Wirkung von ihm aus. Für manche ist sie geografischer Art: Norddeutsche misstrauen Süddeutschen wegen deren vermeintlicher rechtsradikaler Engstirnigkeit, oder »Wessis« misstrauen »Ossis«, weil sie fürchten, der Nationalsozialismus sei in der Tiefkühltruhe des Kommunismus eingefroren worden und taue nun wieder auf. Für andere ist es eine Generationsfrage: Zum Beispiel rebellierten die Demonstranten von 1968 und 1969 gegen die Kriegsgeneration und den traditionellen deutschen Konservatismus. Und um die deutsche Sprache zu versachlichen und zu liberalisieren, duzten sie einander unterschiedslos.
    Fabels Misstrauen konzentrierte sich auf den verborgenen Staatsapparat: auf die tief liegenden inneren Organe einer neuen Demokratie, die aus einer sterbenden Diktatur verpflanzt worden waren. Und im Mittelpunkt von Fabels Misstrauen stand der BND.
    Der Bundesnachrichtendienst war 1956 als Teil der Maschinerie des Kalten Krieges gegründet worden und sollte dem ostdeutschen Staatssicherheitsdienst entgegenwirken. Als erster Präsident des BND fungierte General Reinhard Gehlen, der seit Kriegsende die »Organisation Gehlen« geleitet hatte. Vorher war er in der Abwehr des Dritten Reiches tätig gewesen, deren Aufgabe auch darin bestanden hatte, Spione in das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und viele andere Länder der Welt einzuschleusen. Außerdem hatte die Abwehr Angehörige des Widerstands und alliierte Spione im besetzten Europa ausfindig gemacht. Dabei hatte sie einen etwas geringeren Hang zu Folterungen an den Tag gelegt als die Gestapo oder die SS.
    Nach dem Krieg sahen sich die Amerikaner einer neuen Gefahr in Gestalt des Sowjetkommunismus gegenüber und stellten fest, dass ihnen ein wirksames, nach Osten gerichtetes Geheimdienstsystem fehlte. Aber sie kannten Personen, die über ein solches System verfügten: die Deutschen. Der neue Geheimdienst wurde in Pullach bei München eingerichtet. General Gehlen übernahm die Leitung, und die Alliierten versicherten ihm, er könne alle Mitarbeiter einstellen, die er

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