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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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einen Korb gestellt, in dem ein Mohnbrot lag. »Sieht echt aus«, sagte Fabel. »Diese Trachten werden gewöhnlich von Vereinsmitgliedern der Speeldeel hergestellt oder von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Kennen wir ihre Identität?« Anna schüttelte den Kopf. »Dann sollten wir ein Foto von ihr und den Einzelheiten des Kostüms in Umlauf bringen. Sicher wird eines der Vereinsmitglieder sie oder es erkennen.«
    »Ist dir die Farbe der Haube aufgefallen?« Anna reichte Fabel eine transparente Spurensicherungstüte. Darin befand sich ein weiterer gelber Zettel. Fabel las die winzige Schrift im bleichen Morgenlicht: »Rotkäppchen.«
    »Verdammt.« Fabel gab Anna die Tüte mit einer ruckartigen Bewegung zurück. »Der Kerl wird sich durch die ganze Sammlung durcharbeiten, wenn wir ihn nicht bald erwischen. Die Zeitabstände zwischen den Morden werden kürzer, aber seine blutigen Tableaus sind nicht weniger raffiniert. Er muss die Sache schon vor einiger Zeit geplant haben.«
    »Die Augen, Chef«, sagte Anna. »Wir haben ein Paar, dessen Herkunft wir nicht kennen. Das bedeutet, es gibt noch ein Opfer, von dem wir nichts wissen.«
    »Es sei denn, es sind Paula Ehlers’ Augen, und er hat sie eingefroren oder so was.«
    »Nein, glaube ich nicht.« Holger Brauner war zu ihnen gestoßen. »Zwei Augenpaare. Beide menschlich, beide mit Gewalt und nicht chirurgisch entfernt. Soweit ich es beurteilen kann, sind beide Paare am Austrocknen, aber eines ist stärkerausgetrocknet als das andere. Also muss es einige Zeit vor dem zweiten Paar rausgerissen worden sein. Und ich sehe keine Anzeichen eines Versuches, die Augen durch Marinieren oder Einfrieren zu konservieren.«
    »Warum haben wir dann keine andere Leiche gefunden?«, fragte Anna.
    Fabel schnippte mit den Fingern. »Der gescheite Hans… Teufel noch mal, das ist es: Der gescheite Hans.« Anna sah ihn verwirrt an. »Ich beschäftige mich seit Tagen mit diesen verdammten Märchen«, fuhr Fabel fort. »Es gibt so viele, dass er seine Morde an jedem beliebigen der ein- oder zweihundert Themen orientieren könnte. Aber ich erinnere mich an den ›Gescheiten Hans‹. Ich weiß nicht, ob er dieselbe Person wie in ›Hänsel und Gretel‹ sein soll, aber jedenfalls heißt das Mädchen in dem Märchen ebenfalls Gretel. Egal, der gescheite Hans wird mehrere Male von seiner Mutter zu Gretel geschickt. Jedes Mal soll er eine einfache Aufgabe ausführen, aber hauptsächlich geht es darum, Gretel ein Geschenk zu überreichen. Er vermasselt die Sache immer wieder, übergibt Gretel das Geschenk nicht und kommt mit irgendeinem Gegenstand heim, den sie ihm gegeben hat. Beim letzten Besuch stellt seine Mutter ihm die einfachste Aufgabe: ›Gescheiter Hans, warum wirfst du ihr keine freundlichen Augen zu?‹ Der gescheite Hans nimmt die Worte wörtlich, geht aufs Feld und in die Scheune und schneidet den Kühen und Schafen die Augen aus. Dann wandert er zu Gretel und schleudert ihr die Augen entgegen.«
    »Scheiße.« Anna schaute die Leiche an. »Das ist also die Verbindung, von der du gesprochen hast. Genau wie er ›Dornröschen‹ durch Laura von Klosterstadt mit ›Rapunzel‹ verbunden hat, stellt er nun durch Bernd Ungerer eine Beziehung zwischen ›Rapunzel‹ und ›Der gescheite Hans‹ her.«
    »Richtig. Und nun haben wir auch noch ›Rotkäppchen‹.«
    Fabel sah hinunter auf das Gesicht der Frau. Es war starkgeschminkt, wodurch ein Kontrast zu dem Trachtenkostüm entstand. Er wandte sich mit fast flehender Stimme an Brauner, den Spurensicherungschef. »Holger, irgendwas. Bitte. Gib mir etwas, das mich an den Burschen rankommen lässt.« Er seufzte. »Anna, ich fahre zurück ins Präsidium. Komm in mein Büro, sobald du die Sache hier abgewickelt hast.«
    »In Ordnung, Chef.«
    Fabel ging die Cordesallee in Richtung Ausgang entlang. Die Vögel sangen nun aus Leibeskräften. Er erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, dass es auf dem Ohlsdorfer Friedhof eine verblüffende Vielfalt sonst recht seltener Vögel und sogar Fledermauskolonien gebe, die die Mausoleen als Nisthöhlen benutzten. Der Friedhof steht sogar unter Naturschutz. So viel Leben an einem Ort, der die Toten aufnimmt. Fabel wurde in seinen Gedanken durch Anna aufgeschreckt, die hinter ihm her rief: »Chef! Chef! Komm und sieh dir das hier an.« Sie winkte heftig. Fabel kehrte im Laufschritt zu der Toten zurück. Man hatte sie in eine Leichenwanne gelegt. Der weibliche Engel zeigte immer noch auf den

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