Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Fabel auf. »Ich dachte…«
»Sie dachten, es sei Paula?«
Fendrich nickte. »Es war ein Schock.« Wieder starrte er das Bild an. »Meine Güte, sie sieht Paula so ähnlich. Natürlich älter, aber eine solche Ähnlichkeit. Glauben Sie deshalb, dass hier eine Verbindung besteht?«
»Das ist nicht alles«, erklärte Anna. »Der Mörder ließ etwas zurück, um uns über die Identität des toten Mädchens irrezuführen. Wir sollten glauben, es sei Paula.«
»Können Sie uns sagen, wo Sie von Montagnachmittag bis Dienstagmorgen waren, Herr Fendrich?«
Fendrich spitzte die Lippen und blies den Atem aus, während er über Fabels Frage nachdachte. »Es gibt nicht viel zu sagen. Ich bin an beiden Tagen wie üblich zur Arbeit gegangen. Am Montag bin ich sofort nach Hause gekommen und habe ein paar Arbeiten korrigiert. Am Dienstag… habe ich auf dem Heimweg noch im Minimarkt eingekauft. Ich war gegen 17.30 Uhr zu Hause, und danach bin ich den ganzen Abend nicht mehr aus dem Haus gegangen.«
»Kann das jemand bestätigen?«
Eine gewisse Härte erschien in Fendrichs Augen. »Ach so… Sie konnten mich nicht für Paulas Verschwinden verantwortlich machen, und nun versuchen Sie, mich wegen dieser Sache einzulochen.«
»Davon kann keine Rede sein, Herr Fendrich.« Wieder versuchte Anna, ihn zu besänftigen. »Wir müssen einfach alles überprüfen – sonst würden wir unsere Arbeit nicht ordentlich machen.«
Die Spannung in Fendrichs eckigen Schultern ließ nach, und sein herausfordernder Blick trübte sich, doch er wirkte immer noch skeptisch. Wieder betrachtete er das Foto des toten Mädchens. Lange und schweigend.
»Es ist derselbe Mann«, sagte er schließlich. Anna und Fabel wechselten einen Blick.
»Was meinen Sie damit?«, fragte Anna.
»Ich meine, dass Sie Recht haben… Es gibt eine Verbindung. Mein Gott, dieses Mädchen könnte ihre Schwester sein, so ähnlich sind sie einander. Wer dieses Mädchen ermordethat, muss Paula gekannt haben. Und zwar ziemlich gut.« Der Schmerz war in Fendrichs stumpfe Augen zurückgekehrt. »Paula ist tot. Oder?«
»Das wissen wir noch nicht, Herr Fendrich…«
»Doch.« Fabel kam Anna zuvor. »Doch, ich fürchte auch, dass sie tot ist.«
9.
Naturpark Harburger Berge, Freitag, den 19. März, 21.30 Uhr
Buxtehude war ein Witz für sie – der Ort, wo die Hunde mit dem Schwanz bellen. Ihre Herkunft aus Buxtehude bedeutete für Hanna, dass sie aus der tiefsten Provinz stammte, eine Hinterwäldlerin war, ein Niemand. Hanna Grünn hatte Buxtehude inzwischen verlassen, aber während sie in ihrem fünf Jahre alten VW Golf auf diesem gruseligen Parkplatz mitten im Wald wartete, wurde ihr bitter bewusst, dass sie sich nicht weit von Buxtehude entfernt hatte. Nur die paar Kilometer bis zu der blöden Bäckerei.
Schon mit ungefähr vierzehn Jahren war Hanna für Jungen attraktiv gewesen. Sie war hoch gewachsen, hatte eine üppige Figur und langes blondes Haar. Kein anderes Mädchen an ihrer Schule war so begehrt gewesen wie sie. Hanna war nicht sonderlich intelligent, doch gescheit genug, um die Situation zu durchschauen und weitere Mittel einzusetzen, um das zu erreichen, was sie wollte. Und hauptsächlich wollte sie aus dem verdammten Buxtehude weg. Sie hatte Zeitungsausschnitte über Claudia Schiffers Karriere gesammelt: darüber, wie Claudia in einer Disko entdeckt und dann ins Rampenlicht befördert worden war; über ihre ersten Modelverträge; über die Riesenbeträge, die sie verdiente, und über die fernen Länder, in die sie reiste.
Also war die achtzehnjährige Hanna mit dem unerschütterlichen Optimismus der Jugend von Buxtehude nach Hamburg gezogen, um dort eine Modelkarriere zu beginnen. Doch sie hatte sehr bald gemerkt, dass sich im Empfangsbereich sämtlicher Agenturen weitere Claudia-Schiffer-Kopien drängten. Zu ihrem ersten Vorstellungsgespräch hatte sie eine Aufnahmenserie mitgenommen, die ein örtlicher Fotograf vor ihrer Abreise angefertigt hatte. Ein großer, magerer Schwuler und eine Frau von Ende vierzig, offensichtlich ein früheres Model, unterdrückten ein Kichern, als sie sich Hannas Fotos anschauten. Dann erkundigten sie sich nach Hannas Herkunft. Sie antwortete: »Ich komme aus Buxtehude«, und da brachen die Miststücke tatsächlich in Gelächter aus.
In fast allen Agenturen spielte sich das Gleiche ab. Das Leben, das Hanna vorgeschwebt hatte, schien sich aufzulösen. Sie wollte auf keinen Fall nach Buxtehude zurückkehren, aber das, was sie für
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