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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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eine sichere Modelkarriere gehalten hatte, wurde nun zu einem Traum, der sich zunehmend in ein Fantasiegebilde verwandelte. Sie arbeitete sich durch das Branchenverzeichnis, bis sie schließlich auf eine Agentur in St. Pauli stieß. Hanna begriff, was es bedeutete, dass sich der Sitz der Agentur über einem Striptease Club befand. Auf dem Schild an der Tür stand, die Firma sei auf »Models, exotische Tänzerinnen und Escort Girls« spezialisiert, und der untersetzte, mit einer Lederjacke bekleidete Italiener, der die Agentur leitete, glich eher einem Gangster als einem Vertreter der Modebranche. Er beschönigte die Lage nicht, sondern erklärte Hanna, sie habe einen großartigen Körper und er könne ihr eine Menge Arbeit verschaffen, in erster Linie jedoch für Videos. »Echtes Ficken… verstehst du?«
    Hanna antwortete dem Italiener, an so etwas sei sie nicht interessiert. Daraufhin zuckte er die Achseln und sagte: »Dann eben nicht.« Aber er gab ihr seine Karte für den Fall, dass sie es sich anders überlegte. In ihr möbliertes Zimmer zurückgekehrt, presste Hanna ihr Kissen an den Mund, um das Schluchzen, das ihren Körper zerriss, zu ersticken. Am deprimierendsten war die geschäftsmäßige, nüchterne Art gewesen, mit der der Italiener ihr mitgeteilt hatte, zur Videoarbeit gehöre »echtes Ficken«. Er war weder sonderlich anzüglich noch lüstern aufgetreten, sondern hatte ihr lediglich eine Stellenbeschreibung gegeben, als wäre es um die Einzelheiten einer Bürotätigkeit gegangen. Außerdem entmutigte sie, dass er offensichtlich glaubte, sie könne mit nichts Besserem rechnen. Danach hatte sie sich nach einem gewöhnlichen Arbeitsplatz umgesehen, doch ohne Abitur oder Sekretariatskenntnisse war ihre Auswahl begrenzt gewesen.
    Hanna nahm einen Job in der Backstube Albertus an: an einem Fließband mit dicken, albernen Frauen mittleren Alters, die in ihrem ganzen Leben nie den geringsten Ehrgeiz gehabt hatten. Nun stand sie einen ermüdenden Tag nach dem anderen – ihr herrliches blondes Haar unter einer Bäckerhaube mit Gummizug und ihr vollkommener Körper unter einem formlosen weißen Bäckerkittel verborgen – in der Backstube und glasierte Geburtstagstorten. Dabei wuchs in ihr ein Gefühl der Verzweiflung.
    Aber ihr Elend würde nicht mehr lange dauern. Bald würde Markus sie aus all dem retten. Bald würde sie über das Vermögen und den Lebensstil verfügen, die sie sich immer gewünscht hatte. Markus gehörte die Bäckerei, und wenn sie den Chef vögeln musste, um ihre Wünsche erfüllt zu bekommen, dann würde sie genau das tun. Sie war ihrem Ziel bereits nahe, denn Markus hatte versprochen, seine frigide Frau zu verlassen. Und dann würde er Hanna heiraten.
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Wo zum Teufel war er? Er verspätete sich oft, hauptsächlich wegen seiner Frau. Sie musterte die dicht stehenden Bäume, die sich um den Parkplatz drängten – ein tiefes Schwarz vor einem dunklen, mondlosen Himmel. Hanna hasste es, sich hier mit ihm zu treffen.Es war so gespenstisch. Sie glaubte, eine Bewegung zwischen den Bäumen wahrzunehmen, und spähte einen Moment lang in die Dunkelheit. Dann beruhigte sie sich und seufzte ungeduldig.
    Er hatte sie schon einmal hierher verfolgt, doch es war unmöglich gewesen, den Weg zum Parkplatz hinaufzufahren, weil er sonst Aufmerksamkeit erregt hätte: mit dem einzigen anderen Fahrzeug auf einer einsamen Strecke, die nur zu einem einzigen Ort führte. Deshalb war er bei Tageslicht zurückgekommen und hatte die Gegend ausgekundschaftet. Heute Abend war er ihr lange genug gefolgt, um sich über ihr Ziel im Klaren zu sein und sie dann zu überholen und als Erster hier einzutreffen. Bei seiner Erforschung des Naturparks hatte er einen schmalen Pfad entdeckt. Er war ihn mit seinem Motorrad zur Hälfte hinaufgefahren, hatte den Scheinwerfer und den Motor ausgeschaltet und war einen Moment lang weitergerollt, bevor er sein Fahrzeug zwischen den Bäumen versteckte. Danach hatte er den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt, damit man ihn nicht vom Parkplatz aus hören konnte.
    Nun war er ungesehen am Rand der Bäume angelangt und beobachtete die Hure, die auf ihren verheirateten Liebhaber wartete. Er verspürte das Beben einer grimmigen Vorfreude, das Wissen, dass der Zorn und der Hass, die wie eine Krebskrankheit an ihm nagten, bald freigesetzt werden würden. Die beiden sollten Schmerzen erleiden. Sie würden erfahren, wie es ist, echte Qualen durchzumachen. Das

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