Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Brauner. Er führte Fabel zurück zum Hauptparkplatz am Waldrand. An einer Stelle wurde das Dickicht spärlicher, und als die beiden Männer einige Zweige beiseite schoben, kamen sie auf einen sehr schmalen Pfad. Er musste einmal einen zweiten Zugang zu der Lichtung gebildet haben, doch anscheinend nur für Spaziergänger und Radfahrer. Fabel fluchte, als die lohfarbenen Schuhe, für die er in London so viel bezahlt hatte, in dem morastigen Boden versanken.
»Hier…«, Brauner zeigte auf mehrere Faltkartons, die er zwecks Spurensicherung auf den Boden gelegt hatte. »Das sind frische Stiefelabdrücke, und zwar deutliche. Aus der Größe würde ich schließen, dass sie von einem Mann stammen.« Er folgte dem Pfad und deutete auf einen weiteren Stiefelabdruck. »Sei vorsichtig, Jan, ich habe noch keine Fotos und keinen Abguss.«
Fabel ging hinter Brauner her und bahnte sich mühsam einen Weg am grasbewachsenen Saum des Pfades. Brauner blieb neben einer Reihe von weiteren Faltkartons stehen. »Und das hier sind Reifenspuren – ebenfalls frisch.«
Fabel hockte sich hin und untersuchte die Spuren. »Motorrad?«
»Ja.« Brauner zeigte nach vorn, wo der Pfad abbog und von der Dunkelheit des Waldes verschlungen wurde. »Wenn du einen deiner Leute diesem Pfad folgen lässt, wird er wahrscheinlich irgendwo in der Nähe der Hauptstraße rauskommen. Jemand ist mit dem Motorrad hierher gefahren und hat sich dem Parkplatz auf ungefähr hundertfünfzig Meter genähert. Wenn ich die Spuren und Stiefelabdrücke richtig deute, hat er dann den Motor abgestellt und sein Gefährt den Rest des Weges geschoben.« Er wies auf den ersten Stiefelabdruck zurück. »Daraus können wir folgern, dass er hier knapp außerhalb der Sichtweite der Parkplatzbesucher gestanden und die Lichtung beobachtet hat.«
»Der Mörder?«
»Könnte sein.« Brauners Gesicht verzog sich zu dem üblichen gutmütigen Grinsen. »Oder vielleicht einfach ein Naturliebhaber, der sich für das nächtliche Tierleben auf dem Parkplatz interessierte.«
Fabel erwiderte Brauners Lächeln, doch in seinem Inneren schrillte eine Alarmglocke. Er musterte die Fußabdrücke erneut und spreizte dabei die Beine, um nicht auf sie zu treten. Die Zweige, die er zur Seite geschoben hatte, um den Pfad zu erreichen, schirmten nun seinen Körper ab. Im Geist drehte er die Uhr bis zum späten Abend zurück. Du hast hier gewartet, stimmt’s? Du warst unsichtbar, ein Teil des Waldes. Du hast dich hier sicher und geborgen gefühlt, während du beobachtetest und wartetest. Du sahst sie eintreffen, wahrscheinlich getrennt. Du hast einen der Partner im Auge behalten, während er oder sie auf die Ankunft des anderen wartete. Also kanntest du sie oder wenigstens ihre Pläne. Du wusstest, dass dein zweites Opfer eintreffen würde. Und dann hast du zugeschlagen.
Fabel drehte sich zu Brauner um. »Ich hoffe, du kannst einen guten Abguss herstellen, Holger. Der Kerl war kein zufälliger Spanner. Er hatte ein klares Ziel vor Augen.«
14.
Hamburg-Hausbruch, Sonntag, den 21. März, 15.30 Uhr
Als Fabel und Werner eintrafen, hatte die örtliche Schutzpolizei Vera Schiller bereits mitgeteilt, dass man eine Leiche gefunden habe, die allem Anschein nach die ihres Mannes sei. Bei der Durchsuchung der Taschen habe man eine Brieftasche und einen Personalausweis mit dem Namen Markus Schiller gefunden.
Holger Brauner und sein Spurensicherungsteam hatten die beiden abgestellten Fahrzeuge untersucht und bestätigt, dass das männliche Opfer im Innern des Mercedes ermordet worden war. Auf dem Beifahrersitz war ein »Schatten« zu sehen, wo das Mädchen gesessen und das Arterienblut des Mannes von den Lederpolstern abgehalten hatte. An den Leisten der Motorhaube befanden sich Blutspuren, und Brauner hatte aus ihnen gefolgert, dass das Mädchen aus dem Auto gerissen und ihre Kehle durchgeschnitten worden war, während der Täter sie auf die Motorhaube presste. »Wie auf einem Schlachtblock«, sagte Brauner. Das Spurensicherungsteam hatte die Aktentasche vom Rücksitz genommen. Sie enthielt nur ein Bündel Tankstellenrechnungen, eine Quittung für ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und ein paar Broschüren über kommerzielle Backgeräte und Backprodukte.
Das Haus der Schillers stand auf einem riesigen Gelände am Rand des Staatsforstes. Man näherte sich dem Haus durch eine Gruppe dicht gepflanzter Bäume, die sich dunkel an den Seiten der Auffahrt drängten, bevor sie von ausladenden
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