Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Schraubenschlüssel niedergeschlagen und war durch die Hintertür hinausgelaufen, wo das rote Motorrad gestanden haben musste.Fabel war sich sicher, es nicht unter den anderen in der Werkstatt bemerkt zu haben.
Werner keuchte und schien aufstehen zu wollen. Fabel hielt ihn fest. »Bleib sitzen, Werner, bis der Krankenwagen eintrifft.«
Der Schutzpolizist, zu dem er fragend aufschaute, nickte und sagte: »Er ist unterwegs, Herr Kriminalhauptkommissar.«
»Ich möchte nicht in Olsens Haut stecken, wenn du ihn erwischst, Chef«, meinte Werner.
Fabel sah zu seiner Erleichterung, dass Werners Augen nicht mehr so umwölkt wirkten, aber sie waren weiterhin alles andere als lebhaft. »Darauf kannst du wetten«, sagte Fabel. »Niemand vergreift sich ungestraft an einem Mitglied meines Teams.«
»Das meine ich nicht.« Werner lächelte schwach und nickte zu dem zerfetzten Stoff an Fabels Schulter hinüber. »Ist das nicht eine deiner Lieblingsjacken?«
Die letzte Kurve hatte Anna zu schnell genommen. Wie immer trug sie ihre Lederjacke, aber ihre Beine waren nur durch den Stoff ihrer Jeans geschützt, und ihre Knie hatten den Asphalt fast gestreift. Wenn Olsen sich genauso gut darauf verstand, Motorräder zu fahren wie sie zu reparieren – und das war wahrscheinlich –, dann würde sie auf die Tube drücken müssen, um ihn auch nur im Blick zu behalten. Anna trug keinen Helm und hatte nicht einmal ihre Sonnenbrille bei sich; deshalb verengte sie die Augen gegen den Luftstoß, als sie auf der Geraden beschleunigte. Sie duckte sich hinter das Visier, um die Windeinwirkung zu verringern. Die Straße führte am Zaun der Raffinerie entlang und war frei von Verkehr, sodass sie Vollgas geben konnte. Dann raste sie in die Hohe-Schaar-Straße, wo ein Mercedes notbremsen und ausweichen musste. In der Ferne blitzte etwas rot auf, das über die Reiherstieg-Brücke donnerte, und sie setzte ihm nach. Die BMW unter ihr brüllte auf. Sie schätzte die Entfernung zur nächsten Kurve.Anna und ihr Bruder Julius hatten Motorräder besessen und waren am Wochenende manchmal nach Frankreich, nach Bayern oder sogar nach England gefahren. Aber als ihr Beruf mehr Zeit in Anspruch genommen hatte, waren ihre Ausflüge seltener und kürzer geworden. Und nach Julius’ Heirat mussten sie einen Schlussstrich ziehen. Anna hatte ihr Motorrad bis zum Vorjahr behalten und es dann gegen ein Auto ausgetauscht. Nun erinnerte nur noch die übergroße Lederjacke, die sie fast jeden Tag zur Arbeit trug, an jene Zeit.
Anna bremste vorsichtig, bevor sie die scharfe Linkskurve am Ende der Geraden erreichte. Sie legte sich in die Kurve und ließ die Beschleunigungskraft an ihrem Körper zerren, während sie schneller wurde. Dann kam eine weitere lange, gerade Fläche, und sie sah den roten Fleck von Olsens Motorrad vor sich. Anna gab erneut Vollgas, und die BMW preschte voran. Ihr Mund war trocken, und sie hatte Angst, aber der Nervenkitzel ließ sie erbeben. Sie blickte nicht auf den Tachometer, denn das Motorrad näherte sich seinem Limit von 200 Kilometer pro Stunde, und sie wollte nicht wissen, wie viel Spielraum sie noch hatte.
Der Abstand zu Olsen wurde kleiner. Offenbar hatte er nicht in seinen Rückspiegel geschaut und ging kein Risiko ein. Er hatte wahrscheinlich erwartet, mit dem Auto verfolgt zu werden, und ein Polizeiwagen hätte weder die Geschwindigkeit noch die Manövrierfähigkeit seiner Maschine besessen. Guck nicht in den Spiegel, dachte sie, guck nicht in den Spiegel, du Drecksack. Und dann geschah es. Eine fast unmerkliche Bewegung seines roten, behelmten Kopfes, und Olsens Motorrad schoss voran. Er konnte Annas BMW , die ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, nicht hinter sich lassen, aber er war fähig, die Distanz aufrechtzuerhalten, bis einer von ihnen einen Fehler machte. Es war, als wollten sie sich gegenseitig bei einem Spiel auf Leben und Tod auf die Probe stellen.
Die nächste Kurve nahm Olsen besser und schneller alsAnna, wodurch sich der Abstand wieder ein wenig vergrößerte. Sie hatten die Industrielandschaft hinter sich gelassen und waren nun von matschig wirkenden Feldern umgeben. Die Straße wand sich, und Anna trieb oftmals auf die linke Seite ab. Glücklicherweise kam ihnen niemand entgegen.
Eine weitere scharfe Kurve. Olsen schätzte sie falsch ein, bewältigte sie nur knapp und musste bremsen, um wieder einen geraden Kurs einzuschlagen. Anna verringerte den Abstand auf zwanzig Meter. Ihr Universum war implodiert und
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