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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Augen waren klar und freimütig. Entweder verbarg er seinen Kummer hinter eisiger Kühle, oder der Tod seiner Schwester berührte ihn tatsächlich kaum.
    »Sind Sie mit Ihrer Ermittlung weitergekommen, Herr Kriminalhauptkommissar?«
    Bevor Fabel antworten konnte, schaltete sich Ganz ein. »Der Hauptverdächtige hat die Flucht ergriffen, Hubert. Ein Psychopath namens Olsen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kriminalhauptkommissar Fabel und sein Team ihn aufspüren und verhaften werden.«
    Fabel schwieg einen Moment lang. Offenkundig hielt Kriminaldirektor van Heiden den Innensenator über jedes Detail der Ermittlung auf dem Laufenden, und Ganz wiederum gab die Informationen nach Belieben weiter. Fabel beschloss, seine Fortschrittsberichte an van Heiden einzuschränken.
    »Wir verfolgen mehrere Ermittlungslinien.« Fabel warf Ganz einen vielsagenden Blick zu. »Wohnen Sie hier, Herr von Klosterstadt?«
    »Nein. Mein Gott, nein. Im ›Eispalast‹? Das hier war der Ort, an dem Laura Abgeschiedenheit gesucht hat. Ich habe eine Wohnung an der Alster und bin nur hier, um zu helfen, so gut ich kann.«
    »Was ist mit Ihren Eltern – wissen sie Bescheid?«
    »Sie sind auf dem Rückflug aus New York«, antwortete Hubert. »Sie haben an einer Wohltätigkeitsveranstaltung teilgenommen – für deutsche Opfer des 11. September.«
    »Wir haben sie durch die New Yorker Polizei benachrichtigen lassen«, erklärte Maria.
    Fabel nickte. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich hier ein wenig umschauen.«
    Hubert lächelte kühl und höflich und deutete auf eine derTüren, die von der Eingangshalle abgingen. »Ich werde mit Herrn Ganz im Arbeitszimmer sein. Einige von Lauras Papieren müssen durchgesehen werden.«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr von Klosterstadt«, sagte Maria, »dann wäre es uns lieber, wenn Sie vorläufig nichts anrühren würden. Wir müssen zuerst alles überprüfen.«
    »Natürlich.« Die Temperatur von Huberts Lächeln schien noch um ein paar Grad zu fallen.
    Ganz griff jovial nach seinem Ellbogen. »Lass uns in meinem Haus warten, Hubert.«
    Fabel und Maria sahen sich wie zwei mögliche Hauskäufer ein Zimmer der Villa nach dem anderen an. Laura von Klosterstadt hatte einen ausgezeichneten Geschmack, was die Einrichtung betraf. Einen zurückhaltenden Geschmack. Zu zurückhaltend. Es war, als hätte sie bewusst Luxus und Spartanismus miteinander verknüpfen wollen. Ein Zimmer erweckte Fabels besondere Aufmerksamkeit: ein großes, luftiges Zimmer, das durch ein nach Süden blickendes Fenster mit Licht überflutet wurde. Es war ein Raum, den die meisten Menschen zum Wohnzimmer gemacht hätten, doch die einzigen Möbel bestanden aus einer Anrichte mit einer CD -Anlage an der einen Wand und einem Stuhl mit hohem Rücken, der wie ein Thron in der Mitte des Zimmers, dem Fenster gegenüber, stand.
    Trotz der Leere spürte Fabel, dass dieses Zimmer benutzt worden war. Hier hatte sich ein Gefühl der Verzweiflung und Einsamkeit ausgebreitet, und Fabel wusste, dass Laura von Klosterstadt ein sehr bekümmerter Mensch gewesen war. Er schritt hinüber zur Anrichte und ließ eine Tür aufgleiten. Im Innern befanden sich ein paar CD s mit zeitgenössischer klassischer Musik. Fabel stellte zu seiner Überraschung fest, dass sich Laura von Klosterstadts musikalischer Geschmack zum Teil mit seinem deckte. Die CD s stammten von modernen skandinavischen und baltischen Komponisten. Werke vonArvo Pärt und Georgs Pelecis sowie Peteris Vasks’ Musica dolorosa . Fabel musterte den CD -Player. Darin lag eine Scheibe des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara, Cantus arcticus, opus 61 .
    Fabel drückte auf die Abspieltaste und ließ sich auf den einzelnen Stuhl sinken. Eine Flöte imitierte den Auf- und Abstieg eines Vogels. Dann begann der Cantus, nicht mit menschlichen Stimmen, sondern mit denen von arktischen Meeresvögeln. Der Vogelgesang wurde lauter, verband sich mit den misstönenden Schreien von Seeschwalben und Möwen, und die Flöte und die Blechinstrumente wichen dem breiten, langsamen Anschwellen des Orchesters und dem Zirpen einer Harfe. Fabel kannte dieses Stück – er besaß sogar die gleiche CD –, und wie immer wurde er in eine gewaltige, arktische Eislandschaft versetzt: in ein Land der Fantasie, das ebenso schön wie unfruchtbar war. Der Eispalast. Fabel erinnerte sich an den Begriff, mit dem Lauras Bruder Hubert dieses Haus und die frostige Isolation seiner Schwester beschrieben

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